UAP-Forschung – oder: Wie gehen wir mit dem Fall David Grusch um?

Die NASA und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an Universitäten erforschen neuerdings unidentifizierte anomale Phänomene, kurz UAP. Was jahrzehntelang ein Tabu war und stigmatisiert wurde, gewinnt zunehmend an Akzeptanz – nicht zuletzt deshalb, weil das neue Akronym davor schützt, kultur- und mediengeschichtlich bedingten Reflexen ausgesetzt zu sein, die ausgelöst werden, sobald von UFOs die Rede ist. Was aber ist UAP-Forschung? Und wie gehen wir mit Entwicklungen um, die so extrem scheinen, dass sie eine Gefahr für die im Entstehen begriffene UAP-Forschung sein könnten? Im Anschluss an das bei Velbrück Wissenschaft erschienene Buch Kultur des Selbstdenkens nimmt sich der Autor Claus Langbehn für das Velbrück Magazin den Fall David Grusch vor, um zu erkunden, wie öffentliche Philosophie einen Beitrag zur Versachlichung leisten kann.

Claus Langbehn (Promotion und Habilitation im Fach Philosophie) ist Leiter der denkwerkstatt grenzenlos.


VON CLAUS LANGBEHN

Im Jahre 2008 haben die Politikwissenschaftler Alexander Wendt und Raymond Duvall noch ein Schweigen der Wissenschaft beklagt, wo man über unidentifizierte fliegende Objekte hätte sprechen können. Das Thema, so die Autoren damals, werde zu Unrecht tabuisiert.[1] Auch heute noch bleibt man ihm vielfach lieber fern. Gleichwohl zeichnen sich Veränderungen ab.

Einer aktuellen Umfrage zufolge sind mehr als 7 % von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die an dieser Umfrage teilgenommen haben, sehr oder außerordentlich daran interessiert, mit der Erforschung dessen zu beginnen, was man seit einigen Jahren UAP nennt: unidentified anomalous phenomena (manchmal auch unidentified aerial phenomena). Und immerhin 37 % geben an, dass sie mehr Forschung für sehr wichtig oder sogar essentiell halten.[2]

Solche Forschung ist keine Forschung in ferner Zukunft. Die NASA zum Beispiel hat im Jahre 2022 eine entsprechende Studie begonnen und im letzten Jahr einen ersten Untersuchungsbericht vorgelegt, in dem man liest, dass UAP eines der »größten Rätsel auf unserem Planeten« sind und ein »Direktor für UAP-Forschung« ernannt werde.[3] Wie könnte man mehr Aufmerksamkeit auf das in der Wissenschaft lange Zeit ausgeblendete Thema lenken? An Universitäten gibt es darüber hinaus Initiativen einzelner Personen oder Gruppen von Personen. Auf natur- und ingenieurswissenschaftlicher Seite etwa werden Instrumente und Computerprogramme entwickelt, die erlauben sollen, qualitativ hochwertige Daten über Phänomene zu sammeln, zum Beispiel an der Harvard University und an der Universität Würzburg.[4] Mit der Sol Foundation ist im letzten Jahr sogar eine Stiftung gegründet worden, die neben der Förderung von UAP-Forschung das Ziel verfolgt, auf politischer Ebene zu wirken.

Angesichts dieser Entwicklungen stellt sich die Frage, wie weit man den neu entstandenen Begriff einer UAP-Forschung fassen möchte. Handelt es sich lediglich um eine Analyse von technisch gewonnenen Daten und die Entwicklung von Instrumenten zur Gewinnung solcher Daten? Oder ist UAP-Forschung nicht sinnvollerweise mehr?

Nehmen wir nur die Möglichkeit einer geschichtswissenschaftlichen Forschung. Der Historiker Greg Eghigian arbeitet beispielsweise an einer Monographie – sinnvollerweise unter Verwendung klassischer Ausdrücke jenseits des neuen Akronyms UAP, wie schon die Ankündigung des Buches mit Blick auf den Titel verrät (After the Flying Saucers came. A Global History of the UFO Phenomenon) – und ist Co-Autor eines Beitrags im Scientific American, in dem zu einer sozialwissenschaftlichen Auseinandersetzung aufgerufen wird.[5] Die historische und sozialwissenschaftliche Behandlung ist sicherlich keine UAP-Forschung im engen Sinne, weil sie ihren unmittelbaren Forschungsgegenstand nicht in technisch gewonnenen Daten findet. Aber wir würden die Chancen, die in den Anfängen einer sich formierenden UAP-Forschung liegen, ungenutzt lassen, wenn wir Themen und Probleme ausschließen, die sich nicht mit natur- und ingenieurswissenschaftlichen Methoden und datenanalytischen Verfahren behandeln lassen.

Es gibt geschichtliche, kulturelle, gesellschaftliche und psychologische Aspekte, die berücksichtigt werden müssen, wenn wir die Entstehung einer UAP-Forschung nicht damit bezahlen möchten, die greifbaren Auswirkungen von Sichtungen und Aufzeichnungen unerforscht zu lassen. Im Gegensatz zu den nur flüchtigen Phänomenen selbst, die unverfügbar sind und sich nicht auf den Untersuchungstisch legen lassen, sind geschichtliche, kulturelle, gesellschaftliche und psychologische Phänomene mögliche Gegenstände erprobter Forschungsmethoden.[6]

In dieser Situation stellt sich die Frage, wie sich Philosophie einbringen könnte. Mit den folgenden fünf Abschnitten mache ich einen entsprechenden Vorschlag. Sie sind experimenteller Natur, mehr als eine Skizze und weniger als eine vollumfängliche Studie und bei allem der Versuch, eine Grundlage für weiterführende Diskussionen zu schaffen.

1. Gründe dafür, sich philosophisch mit Behauptungen der besonderen Art zu beschäftigen: David Grusch

Es gibt viele Möglichkeiten, sich philosophisch in das aufkommende Gespräch über UAP-Forschung einzubringen. So lädt die Neuformierung eines Forschungsbereichs zu wissenschaftstheoretischen, mithin philosophischen Überlegungen ein, in denen Grundsatzfragen nicht weniger behandelt werden als konkrete methodologische Probleme. In Zeiten, in denen von einzelwissenschaftlicher Seite keine besonderen Anstrengungen unternommen werden, den UAP-Begriff zu definieren, wäre auch die Frage nach einer Definition philosophisch zu behandeln.[7] Darüber hinaus können gesellschaftliche Themen und Entwicklungen erörtert werden, die sich vom Standpunkt Angewandter Philosophie diskutieren lassen.

Dazu gehört insbesondere der verschwörungstheoretische Bereich.[8] In den USA zum Beispiel, wo einer Gallup-Umfrage aus dem Jahre 2021 zufolge 41 % der Menschen glauben, dass einige der gesehenen Objekte außerirdischen Ursprungs sind,[9] waren im Jahre 2019 immerhin 68 % der Meinung, dass die US-Regierung mehr über unidentifizierte Objekte wisse, als sie die Bevölkerung wissen lasse.[10] Diese Zahlen bilden einen idealen Nährboden für verschwörungstheoretische Annahmen, denen zufolge die US-Regierung oder Stellen im Regierungs-, Militär- und Geheimdienstapparat bestimmtes Wissen über nichtmenschliche Technologie und Wesen vor der Weltöffentlichkeit geheim halten.

Die entsprechenden Diskussionen wurden im letzten Jahr durch einen ehemaligen Geheimdienstmitarbeiter namens David Grusch befeuert, der in Untersuchungen des Pentagon involviert war. Grusch erregte im Sommer 2023 große Aufmerksamkeit, weil er öffentlich behauptete – unter anderem vor einem Ausschuss des Repräsentantenhauses im US-Kongress –, in Gesprächen mit Personen aus dem Regierungs-, Militär- und Geheimdienstapparat erfahren zu haben, dass nichtmenschliche Technologie und Wesen einer anderen Zivilisation auf der Erde präsent sind.

Wer Angewandte Philosophie – und Philosophie überhaupt – für wichtig hält, mag der Auffassung sein, sie davor schützen zu müssen, in eine Auseinandersetzung mit Grusch hineingezogen zu werden. Die weiteren Ausführungen gründen in der Überzeugung, dass man es sich damit zu einfach machen würde und es Gründe für einen philosophischen Zugang gibt.

Wie wir sehen werden, stehen Gruschs Behauptungen nicht für sich, sondern lassen sich in verschiedenen Kontexten verorten. Sie erfordern, Komplexität zu entdecken und Voraussetzungen zu erkunden. In dieser Hinsicht bieten sie sich für eine philosophische Auseinandersetzung an, durch die Gruschs Behauptungen in einen Fall Grusch gesteigert werden. Solche Steigerung zielt darauf, an der Gestaltung eines Diskursraumes mitzuwirken, in dem sich besondere Möglichkeiten der Beschreibung, Rekonstruktion, Kritik und Argumentation zeigen.

Mit einem zweiten Grund möchte ich in Erinnerung rufen, dass die Frage nach intelligentem Leben jenseits des Planeten Erde eine alte philosophische Frage oder zumindest eine Frage mit philosophischen Implikationen ist. Diese Frage überhaupt zu stellen fällt in einen Bereich, in dem wir die Würde des Menschen erörtern, Formen des Ergriffenseins thematisieren und das menschliche Selbstverständnis vertiefen. Sie ist eine menschliche Errungenschaft, die zu kultivieren eine zivilisatorische Leistung ist. Die Frage nach anderen Wesen muss deshalb vor ihrer Trivialisierung geschützt werden, eine Aufgabe, an der sich auch und vor allem Philosophie beteiligen darf. Ich möchte nicht behaupten, dass Grusch jene Frage trivialisiert. Seine Behauptungen werden allerdings medial ausgeschlachtet, vor allem in den digitalen Räumen des Internets, und verlieren sich so in den Weiten einer Popkultur, in der Unterhaltung auf Kosten ursprünglicher Faszination stattfindet und der tägliche Alientalk kaum noch Platz dafür lässt, die gemeinte Frage nach dem Anderen mit Hochachtung vor der Möglichkeit des Menschen zu behandeln, diese Frage zu stellen.

Ein dritter Grund macht eine gesellschaftspolitische Verantwortung von Philosophie geltend. Grenzen wir Themen, Probleme und Fragestellungen aus, mit denen viele Menschen für sie wichtige Interessen verbinden, schaffen solche Menschen mitunter (digitale) Räume, in denen sie jene Themen, Probleme und Fragestellungen in Gruppenisolation und dabei möglicherweise in Echokammern behandeln, in denen sich Gleichgesinnte in ihren Auffassungen gegenseitig bestätigen, entsprechende Identitäten ausbilden, sich dem rationalen Diskurs entziehen und sich gegen Kritik immunisieren. Dies muss nicht unbedingt in Radikalisierung münden, die wiederum Tendenzen der gesellschaftlichen Spaltung befördert. Aber schon eine solche Möglichkeit, die Gefahr genug ist, sollte Grund dafür sein, die Mechanismen jener Ausgrenzung kritisch zu hinterfragen. Dass die NASA das Zeitalter der UAP-Forschung ausruft, hat nicht nur wissenschaftliche Bedeutung, sondern auch gesellschaftliche Implikationen. Denn mit dem Signal, technisch gewonnene Daten, die vor Verständnisprobleme stellen, ernst zu nehmen, gibt die NASA zugleich das Signal, Menschen ernst zu nehmen, die sich dafür interessieren oder in besonderer Weise engagieren. Möchte man einen vergleichbaren Schritt im Falle von Gruschs Behauptungen machen, die auf den ersten Blick ein Problem für UAP-Forschung sind, weil sie deren Entwicklung und Akzeptanz behindern könnten, bietet sich eine philosophische Auseinandersetzung an, in der hinreichend viele Spielräume bestehen, Denkzugänge zu einem schwierigen Thema zu eröffnen.

Aus diesen Gründen, die durch andere ergänzt werden mögen, ließen sich unterschiedliche Ziele der Auseinandersetzung ableiten. Ich werde mich im zweiten, dritten und vierten Abschnitt darauf konzentrieren, die Behauptungen Gruschs in einen Fall Grusch zu steigern, indem ich Kontexte und Zusammenhänge erschließe, die zeigen sollen, wie komplex und voraussetzungsreich diese Behauptungen sind. Im zweiten Abschnitt werden Umrisse einer Geschichte bisheriger staatlicher Untersuchungen in den USA gezeichnet, weil Grusch selbst Teil dieser Geschichte ist – eine Geschichte, in der von Anfang an darüber nachgedacht wurde, ob es sich bei anomal-wirkenden Phänomenen um nichtmenschliche Technologie handelt. Im dritten Abschnitt werden die Behauptungen Gruschs vertieft und sein Weg hin zu einer öffentlichen Figur nachgezeichnet, ein Weg, der unter anderem über den US-Kongress führte. Der vierte Abschnitt stellt diesen Ort politischer Repräsentation in den Mittelpunkt, wo außergewöhnliche Gesetzesinitiativen zu beobachten sind, die Gruschs Behauptungen eben politisch kontextualisieren lassen. Im fünften und letzten Abschnitt werde ich ein Resümee vornehmen und einen Vorschlag unterbreiten, wie der Fall Grusch sich in eine UAP-Forschung integrieren ließe.

Im Namen Angewandter Philosophie möchte ich die Auseinandersetzung im Übrigen gar nicht führen. Stattdessen setze ich mit dem Selbstverständnis einer öffentlichen Philosophie an, wie ich sie in dem Buch Kultur des Selbstdenkens konzipiert habe. Öffentliche Philosophie ist radikal themenoffen und Ausdruck der Haltung, die Beschäftigung mit etwas nicht von den Erwartungen anderer abhängig zu machen.[11] Damit sind gute Voraussetzungen gegeben, selbst die Behauptungen von Grusch noch unvoreingenommen zu erörtern.

2. Staatliche Untersuchungen in den USA seit 1948

Weltweit berichten Menschen von Objekten, deren Eigenschaften sie sich nicht erklären können. Sichtungen kommen darüber hinaus nicht erst seit den 1940er-Jahren vor. Sie sind seit der Antike dokumentiert. Die Berichte lassen dabei Eigenschaften erörtern, die an jene erinnern, die auch in der Gegenwart beobachtet werden: scheiben- und kugelförmige, metallische (manchmal auch leuchtende) Objekte, die einen Meter groß sind (oder größer), keine Geräusche machen, entweder schweben oder sich rätselhaft oder gleichförmig bewegen und mit großer Geschwindigkeit verschwinden.[12]

Berichten Menschen an verschiedenen Orten zu verschiedenen Zeitpunkten von Dingen, die sie sich nicht erklären können, müssen wir berücksichtigen, dass es sich weder um die gleichen noch um dieselben Objekte handeln muss. Auch wenn qualitative und/oder numerische Identität empirisch nicht ausgeschlossen werden dürfen, sind sie keine Implikationen von Sichtungsberichten und Aufzeichnungen. Eine oft gehörte Rede wie die von diesen Objekten ist deshalb problematisch, weil sie qualitative oder numerische Identität suggeriert. Wenn im Folgenden verschiedene Untersuchungen der US-Regierung seit 1948 skizzenhaft und also ohne Anspruch auf Vollständigkeit behandelt werden, so unter der entsprechenden Voraussetzung, dass die untersuchten Sichtungsberichte und Aufzeichnungen nicht notwendig auf die gleichen oder dieselben Phänomene bezogen sind.

Eine weitere Vorbemerkung bezieht sich auf den Zusammenhang, in dem die Behauptungen Gruschs mit Möglichkeiten der historischen Betrachtung stehen. In den letzten Jahrzehnten ist wiederholt die Geschichte von einem Coverup erzählt worden, der zufolge die US-Regierung oder Stellen im Regierungs-, Militär- und Geheimdienstapparat bestimmtes Wissen vor der Öffentlichkeit geheim halten. Gruschs Behauptungen stehen auf gleichsam natürliche Weise im Kontext einer solchen Betrachtung. Um eine Geschichte zu haben, vor deren Hintergrund sie erörtert werden können, müssen wir jedoch nicht die vor große Herausforderungen stellenden Thesen über ein Coverup aufsuchen. Es reicht, die öffentlich einsehbaren Dokumente über durchgeführte Untersuchungen zu analysieren, um Gruschs Behauptungen an einem Punkt ohne anspruchsvolle historische Thesen vor einem geschichtlichen Hintergrund bewerten zu können.

1948-1969: Projekt Sign, Projekt Grudge, Projekt Blue Book und der Condon-Report

Eine erste, seit Januar 1948 von der US-Luftwaffe durchgeführte Untersuchung hieß Projekt Sign.[13] Die Beteiligten nahmen sich 243 Vorfälle innerhalb der USA und 30 Vorfälle außerhalb der USA vor und sprachen dabei wahlweise von »unidentified aerial objects« und »unidentified flying objects«. Im Projektbericht werden vier Arten von Objekten unterschieden: (1) fliegende Scheiben; (2) Torpedos bzw. zigarrenförmige Körper ohne Flügel und Steuerungsflächen; (3) runde oder ballonartige Objekte, die in der Lage sind, mit großer Geschwindigkeit aufzusteigen, abzusteigen oder sich fortzubewegen; (4) Lichtbälle, die mit großer Geschwindigkeit manövrieren, aufsteigen und sich fortbewegen.[14] Mit dieser Auflistung verschiedener Arten macht der Bericht keine Aussage darüber, ob es solche Objekte wirklich gibt. Die Typologie ist zunächst nur eine Sichtungstypologie, die wiedergibt, was Menschen nach eigener Auskunft gesehen haben. Das oberste Erkenntnisinteresse richtete sich dabei auf die Frage, ob es Objekte im amerikanischen Luftraum gibt, die eine Gefahr für die nationale Sicherheit darstellen. Sollte sich herausstellen, dass dies nicht der Fall ist, sprach der Bericht die Empfehlung aus, dass fortgesetzte Untersuchungen auf einem minimalen Niveau stattfinden und ihren Status als Sonderprojekt verlieren sollten.[15]

In der konkreten Untersuchungspraxis setzte sich der Erkenntnisprimat in der Frage um, ob es sich bei den unidentifizierten fliegenden Objekten um neue und unbekannte Typen von Fluggerät handelt. »Bisher liegen keine eindeutigen Belege vor«, so liest man, »um die tatsächliche Existenz von unidentifizierten fliegenden Objekten im Sinne neuer und unbekannter Typen von Fluggerät zu bestätigen oder zu widerlegen.«[16] Allerdings scheine es sich bei einer bestimmten Anzahl von Vorfällen durchaus um Fluggerät unkonventioneller Art zu handeln.[17] Verständlicherweise richtete sich das Interesse auch auf die Sowjetunion. War sie für eine Technologie verantwortlich, mit der man die Sichtungsberichte erklären konnte? Diese Möglichkeit wurde schnell ausgeschlossen, weil das Land wissenschaftlich-technologisch nicht hinreichend weit fortgeschritten sei und keine Antriebs- und Kontrollsysteme entwickeln könne, die man bräuchte, damit die Objekte sich so bewegen, wie berichtet wird.[18] Damit aber hatte sich nicht die Frage erledigt, worum es sich bei den Sichtungen handelt. Deshalb ging Projekt Sign auch anderen Möglichkeiten nach, darunter nicht nur astrophysikalischen oder psychologischen Erklärungen. Denn um die außergewöhnlichen Eigenschaften gesehener Objekte zu erklären, wurde auch die Frage erörtert, ob es sich um Raumschiffe einer anderen Zivilisation handelt.

In dieser Frage waren die Beteiligten in zwei Gruppen gespalten: Die eine Gruppe favorisierte die extraterrestrische Hypothese und war davon überzeugt, dass darin die plausibelste Erklärung zu sehen war; die andere Gruppe vertrat die Auffassung, dass sich alle Sichtungen am Ende auf etwas Gewöhnliches würden zurückführen lassen.[19] Das Militär holte auch Stellungnahmen von externen Gutachtern ein, die sich zur extraterrestrischen Hypothese äußern sollten. Die Sachlichkeit, Unbekümmertheit und Selbstverständlichkeit, mit der sich die Gutachter mit der Sache beschäftigten, ist beeindruckend. Einer dieser Gutachter war ein Mitarbeiter der Rand Corporation mit Namen James E. Lipp, der seine Ergebnisse in einem langen Brief an einen zuständigen General Putt am 13. Dezember 1948 niederlegte.[20] Lipp kam zu dem Schluss: Besuche von Bewohnern anderer Planeten seien möglich, weil es andere Zivilisationen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gebe, aber sehr unwahrscheinlich, weil die beobachteten Objekte nicht als Raumschiffe taugen würden.

Man merkt schnell: Hier denkt jemand unter der Voraussetzung des zu seiner Zeit vorhandenen technologischen Wissens. Hätte Lipp seinen Bericht in der Gegenwart geschrieben, bliebe darüber nachzudenken, ob er angesichts der enormen technologischen Entwicklungen zum selben Schluss gekommen wäre. Solche Überlegungen dürfen freilich nicht dazu führen, einen Projektbericht aus dem Jahre 1948 in seiner Relevanz zu unterminieren. Damals hielt es die Mehrheit der Beteiligten für richtig, die extraterrestrische Hypothese nicht mehr weiter zu verfolgen: Die Autoren stuften die Möglichkeit von Besuchern von einem anderen Planeten als äußerst gering ein.

Mit dem Ende von Projekt Sign gingen nicht auch die Sichtungen zu Ende. Im Gegenteil, in den folgenden Jahren meldeten landesweit weiterhin unzählige Menschen, dass sie etwas für sie Unerklärliches gesehen hätten. Bei der Luftwaffe änderte sich jedoch etwas: Man wollte weniger nachforschen als vielmehr versuchen, das Thema aus den Schlagzeilen zu bekommen. Mit dem Projekt Grudge (1949) hat man anscheinend genau dies versucht. Nicht mehr wirkliche Nachforschungen waren das Ziel, sondern eine Art Medienkampagne, mit der man die Bevölkerung davon überzeugen wollte, dass sich nichts Außergewöhnliches hinter den Sichtungen verberge.[21] Doch damit war es nicht getan. Auf Projekt Grudge folgte mit Projekt Blue Book (1952-1969) die längste Untersuchung. Das Projekt erstreckte sich über 17 Jahre, in denen mehr als zwölftausend Sichtungen behandelt wurden. 701 davon konnten unter den Bedingungen der jeweiligen Datenlage nicht erklärt werden.

Während die US-Luftwaffe das Projekt Blue Book aufnahm, initiierte die CIA im Januar 1953 das sogenannte Robertson-Panel, ein Treffen von Wissenschaftlern, die an mehreren Tagen ausgewählte Sichtungen diskutierten.[22] Im Ergebnis kamen die beteiligten Personen darüber ein, dass UFOs keine Gefahr für die nationale Sicherheit darstellen. Um das Militär nicht unnötig mit alarmierenden Sichtungen zu belasten, die am Ende keine weitere Beachtung verdienen, entwarf das Robertson-Panel ein »Erziehungsprogramm« (educational program).[23] Dieses Programm – nicht zu verwechseln mit einer Desinformationskampagne – richtete sich zum einen auf das Verhalten von Militärangehörigen, die darin trainiert werden sollten, keine falschen Interpretationen vorzunehmen, zum anderen auf die Öffentlichkeit, die durch eine Kampagne der Entzauberung und Widerlegung davon überzeugt werden sollte, dass sich hinter dem Gesehenen nichts Unbekanntes verbirgt. Im Fernsehen, in Filmen und populären Zeitschriften sollte am Beispiel von realen Sichtungen vorgeführt werden, dass das, was zunächst ein Mysterium scheint, eine einfache Erklärung findet. Nach spätestens zwei Jahren, so glaubte man, würde diese Form von Erziehung dazu führen, dass sich das öffentliche Interesse am Thema legt und kaum noch Sichtungen gemeldet werden.

Das Interesse der CIA an UFOs nahm nach diesem Panel ab.[24] Und für die Luftwaffe hatten die Ergebnisse des Robertson-Panels anscheinend zur Folge, dass sie in den Sichtungen endgültig keinen ernsthaften Untersuchungsgegenstand mehr sehen konnte.[25] Gleichwohl gab sie an der Universität Colorado eine Studie in Auftrag, die vom sogenannten Condon-Komitee (1966-68) unternommen wurde. Leiter der Untersuchung war der renommierte Physiker Edward Condon, der am Ende empfahl, von einer weiteren Untersuchung abzusehen, weil die letzten 21 Jahre keine Ergebnisse gebracht hätten und solche auch in Zukunft nicht zu erwarten seien.[26] Die US-Luftwaffe folgte der Empfehlung und stellte das Projekt 1969 ein.

Als der Condon-Report von der Luftwaffe veröffentlicht wurde, gab es neben Zustimmung auch Kritik. Einer der schärfsten Kritiker war der Physiker James McDonald, der im Rahmen verschiedener Vorträge geradezu ein Versagen der Wissenschaft vor Augen führen wollte.[27] Jahre später legte der Physiker Peter Sturrock eine Analyse des Condon-Reports vor. Seine detaillierten Erörterungen basieren unter anderem auf der Beobachtung, dass Condon die Einstellung offizieller Untersuchungen empfahl, obwohl er selbst gar nicht an der konkreten Forschung beteiligt war, während jene, die mit den Nachforschungen befasst waren, die Herausforderungen und ungeklärten Fragen betonten, die viele der behandelten Fälle mit sich brachten.[28] Bis heute sieht man einen Widerspruch zwischen den komplexen, keinesfalls eindeutigen Forschungsergebnissen und der Art und Weise, wie Condon die Untersuchungen in den von ihm verfassten ersten zwei Abschnitten des Berichts präsentierte.

Der heute zweifellos bekannteste Kritiker des Condon-Reports ist der Astronom J. Allen Hynek, der in allen drei Untersuchungen der Luftwaffe beratend tätig gewesen war und sich in den Jahren nach Projekt Blue Book zu einem der Wortführer in der kritischen Bewertung des Condon-Reports entwickelte. Zu Beginn der Untersuchung an der Universität Colorado war Hynek noch hocherfreut darüber, dass eine Gruppe von Wissenschaftlern sich die Sichtungsberichte und Daten vornahm. Dies entsprach seiner Überzeugung, dass die UFO-Frage der Gegenstand einer besonnenen, vernünftigen und wissenschaftlichen Untersuchung sein müsse.[29] Im Dezember 1966 kommentierte er die Einrichtung des Condon-Komitees in einem Zeitungsbeitrag mit den folgenden Worten: »Nun endlich hat die Luftwaffe mit einer ernsthaften wissenschaftlichen Untersuchung der UFO-Phänomene begonnen.«[30] Man interpretiert kaum etwas in diesen Satz hinein, wenn man Hynek die Auffassung zuschreibt, dass das von der Luftwaffe selbst durchgeführte Projekt Blue Book keine ernsthafte wissenschaftliche Untersuchung war. Diesen Standpunkt hat Hynek auch in den kommenden Jahren und Jahrzehnten vertreten. Nachdem der Condon-Report veröffentlicht worden war, musste Hynek allerdings zu dem Schluss kommen, dass seine Hoffnung auf eine nunmehr ernsthafte wissenschaftliche Untersuchung verfrüht war, weil er die an der Universität Colorado durchgeführte Studie für nicht in dem Maße wissenschaftlich hielt, wie dies zu erwarten gewesen wäre. Im Klassiker The UFO Experience (1972) widmet Hynek dem Condon-Report ein vor diesem Hintergrund kaum überraschendes Kapitel mit dem (hier ins Deutsche übersetzten) Titel »Wissenschaft ist nicht immer das, was Wissenschaftler tun«.[31]

Sprung in die Gegenwart: Untersuchungen seit 2007

Die Geschichte der folgenden Jahrzehnte liest sich, als hätte der Condon-Report das Drehbuch dazu verfasst. Die Untersuchung an der Universität Colorado war das erste und letzte offizielle, von staatlichen Stellen initiierte und finanzierte Forschungsprojekt an einer amerikanischen Universität. Zu mächtig war das Urteil eines Physikers mit hoher Reputation, der empfahl, von einer institutionalisierten Forschung abzusehen. Gleichsam eingesprungen sind zivile Forschungsorganisationen wie NICAP, MUFON und CUFOS, die über Jahrzehnte dafür sorgten, dass Sichtungen gemeldet und verarbeitet werden konnten.[32] Die Geschichte hätte freilich auch anders verlaufen können, hätte man eine wichtige Unterscheidung Condons zur Kenntnis genommen und berücksichtigt: die Unterscheidung zwischen einer institutionalisierten, grundständig finanzierten Forschung und einzelner Forschungsprojekte, die in der Initiative Einzelner gründen.[33] Hätte es eine Wirkungsgeschichte dieser Unterscheidung und nicht nur der Absage an eine institutionalisierte Forschung gegeben, wären seit den 1970er-Jahren vielleicht Einzelne angetreten, Forschungsprojekte zu konzipieren, die nach einer Begutachtung in Peer-Review-Verfahren mit öffentlichen oder privaten Mitteln finanziert werden.[34]

Auf Seiten des Militärs und der Regierung sind ebenfalls keine Untersuchungen mehr durchgeführt worden, zumindest keine, deren Ergebnisse mit der Öffentlichkeit geteilt worden wären. Dass es Untersuchungen gegeben hat, die nicht öffentlich gemacht wurden, ist mittlerweile bewiesen. Zwischen 2007/08 und 2012 führte das Pentagon Studien über anomal wirkende Phänomene durch, von deren Existenz die Öffentlichkeit erst einige Jahre später durch einen Artikel in den New York Times erfuhr. Am 17. Dezember 2017 berichtete die Zeitung auf der Titelseite über ein entsprechendes Programm. Leslie Kean und Ralph Blumenthal, die auch die ersten waren, die Anfang Juni 2023 in der amerikanischen Zeitschrift The Debrief über Grusch berichteten, veröffentlichten zusammen mit Helene Cooper den Artikel »Glowing auras and ›black money‹: The Pentagon’s mysterious UFO program«. Die US-Regierung habe zwischen 2007/08 und 2012 ein Programm mit Namen AATIP (Advanced Aerospace Threat Identification Program) durchgeführt. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich allerdings, dass AATIP in einem nur schwer bestimmbaren Verhältnis zu einem Programm namens AAWSAP (Advanced Aerospace Weapon Systems Applications Program) gestanden hat.

Der Bericht in den New York Times ist auch deshalb von Bedeutung, weil er Entwicklungen eingeleitet hat, durch die anomal wirkende Phänomene zum Gegenstand ungeahnter öffentlicher, politischer und teils auch wissenschaftlicher Diskussionen geworden sind. Dazu beigetragen hat, dass die New York Times und die Washington Post mehrere Videos von Objekten veröffentlichten, die von Kampfflugzeugen gemacht wurden und deren Authentizität mittlerweile vom Pentagon bestätigt ist. Sie firmieren unter den Namen Tic-Tac-Video, Gimbal-Video und Go-fast-Video und werden weltweit auf unzähligen Plattformen sowie in Fernsehsendungen gezeigt.

Der Artikel in den New York Times und die Veröffentlichung der Videos erzeugten in den USA große öffentliche Aufmerksamkeit. Im Jahre 2020 forderte der amerikanische Kongress die US-Regierung auf, einen Untersuchungsbericht vorzulegen, der Auskunft darüber gibt, was sie über die Vorfälle wisse. Das Verteidigungsministerium beauftragte deshalb eine Arbeitsgruppe mit Namen Unidentified Aerial Phenomena Task Force (UAPTF) mit der Untersuchung. Bevor wir auf die Ergebnisse eingehen, müssen wir uns eine wichtige terminologische Entwicklung vergegenwärtigen: die Entwicklung vom Akronym UFO zum Akronym UAP, das sich ja im Namen der genannten Task Force findet.

Während man, wie gesehen, schon in Projekt Sign von unidentified flying objects sprach, wurde das Akronym UFO erst im Jahre 1952 und damit zu Beginn von Projekt Blue Book geprägt. Es sollte dazu beitragen, sich terminologisch nicht von dem damals grassierenden Ausdruck Flying Saucer abhängig zu machen, insbesondere nicht von seiner Konnotation, dass es sich bei gesehenen Objekten um außerirdische Raumfahrzeuge handelt. Historisch gesehen konnte sich das Akronym allerdings nicht lange gegen diese Konnotation wehren, weil die Kultur- und Mediengeschichte der letzten Jahrzehnte geradezu in den Bereich einer Synonymie von UFO und Aliens geführt hat. Spätere staatliche Untersuchungen, die nicht schon durch ein Akronym selbst die extraterrestrische Hypothese formulieren wollten, verabschiedeten das Akronym UFO und seine entsprechende Bedeutung und ersetzten es durch das Akronym UAP. In Großbritannien zum Beispiel wurde Projekt Condign durchgeführt, eine zwischen 1997 und 2000 von der Britischen Regierung unternommene Studie, deren Ergebnisse unter dem Titel »Unidentified Aerial Phenomena in the UK Air Defence Region« zusammengefasst wurden.[35] Die gut zwei Jahrzehnte später eingerichtete UAPTF in den USA ist also nicht die erste staatliche Untersuchung, in der das Akronym UAP verwendet wurde.

Erste Ergebnisse der UAPTF wurden am 25. Juni 2021 durch das ODNI (Office of the Director of National Intelligence) in einem Bericht veröffentlicht.[36] Dieser nur neun Seiten lange Bericht ist, wie sein Titel verrät, eine vorläufige Bewertung. Es ist von 144 UAP-Sichtungen die Rede, die zwischen 2004 und 2021 gemacht wurden und von denen lediglich eine Sichtung auf eine bekannte Ursache zurückgeführt werden konnte. 143 Fälle blieben unter den Bedingungen vorhandener Daten ungeklärt, darunter Sichtungen von Objekten, die ungewöhnliches Flugverhalten zeigen sollen. Der Bericht macht deutlich, dass es sich bei den meisten der unidentifizierten Phänomene wahrscheinlich um physische Objekte handelt, da die Mehrzahl von Radar, Infrarotkameras, optischen Geräten, Waffensuchsystemen erfasst und auch von Personen gesehen worden sind.[37] Im Falle von 18 Ereignissen berichten Beobachter darüber hinaus von einem ungewöhnlichen Flugverhalten, darunter abrupte Manöver und hohe Geschwindigkeiten, die ohne erkennbare Antriebssysteme erreicht werden sollen.[38] Einigen der UAP scheine, so gesehen, eine fortgeschrittene Technologie zugrunde zu liegen. Grundsätzlich würden UAP eine Gefahr für die Flugsicherheit darstellen und eventuell eine Herausforderung für die nationale Sicherheit bedeuten.[39] Darüber hinaus bietet das Pentagon fünf mögliche Erklärungskategorien an. So kommen Vögel, Ballons, fliegende Plastiktüten und andere in der Luft befindliche Dinge (1) genauso in Frage wie natürliche atmosphärische Vorgänge (2), Entwicklungsprogramme der Industrie (3), fremde Systeme anderer Länder wie China oder Russland oder privater Unternehmen (4), und schließlich: »Other«, also »Anderes« (5).[40]

Angesichts der fünf gegebenen Kategorien fällt auf, dass eine bestimmte, im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit stehende Erklärungsmöglichkeit nicht expressis verbis genannt wird: die mögliche Erklärung, dass es sich bei UAP um nichtmenschliche Technologie handelt. Man könnte auch sagen: Mit der Kategorie »Anderes« ist allenfalls ein Erklärungsbereich markiert, in dem auch diese Möglichkeit verhandelt werden kann, sollte eines Tages Anlass dafür bestehen. Der erste Pentagon-Bericht schließt diese Möglichkeit nicht aus, ist umgekehrt aber auch nicht geeignet, eine entsprechende Hypothese in den Mittelpunkt seiner Auslegung zu stellen.

Im Januar 2023 veröffentlichte das Pentagon einen zweiten Bericht, der einen deutlichen Anstieg in zweifacher Hinsicht verzeichnet: Die Zahl der UAP-Berichte stieg von 144 auf 510 Berichte, und die Zahl derjenigen Fälle, die als geklärt gelten, stieg von 1 auf 196. Damit waren zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Berichts 314 UAP-Berichte ungeklärt.[41] Der zweite Pentagon-Bericht erörtert im Übrigen auch die Einrichtung einer neuen, im Juli 2022 eingerichteten Abteilung mit Namen All-domain Anomaly Resolution Office (AARO), mit der die Untersuchung von UAP ausgeweitet und professionalisiert werden soll.[42] Nach der Einrichtung dieser Behörde wurde in Abstimmung mit der NASA festgelegt, dass das Akronym UAP für unidentified anomalous phenomena steht.

Seit Anfang September 2023 ist das Pentagon um mehr Transparenz bemüht, was sich in der Einrichtung einer neuen Website von AARO niederschlägt, die auch für die allgemeine Öffentlichkeit zugänglich ist und nichtklassifizierte Videos zeigt. AARO geht hier über die bisherigen Pentagon-Berichte hinaus, weil statistische Angaben zu den verschiedenen Formen der gesehenen Objekte gemacht werden. Danach sind 34% kugelförmig, während dreieckige, rechteckige, quadratische, zylindrische, scheibenförmige, ovale und vieleckige Formen sowie die Tic-Tac-Form jeweils zwischen zwei und fünf Prozent ausmachen. Über die am häufigsten vorkommenden, kugelförmigen Objekte werden weitere Angaben zur Größe (1-4 Meter), Farbe (weiß, silber, lichtdurchlässig), Flughöhe (3-10 Kilometer), Geschwindigkeit (stillstehend und bis zu 2500 Stundenkilometer) und Antrieb (ohne Wärmeabstrahlung) gemacht.[43]

Möchte man über Personen sprechen, die im Rahmen von Untersuchungen durch die UAPTF und AARO tätig gewesen sind, besteht eine Möglichkeit darin, über David Grusch zu sprechen. Denn Grusch war für beide Einrichtungen zumindest mittelbar tätig. Von April 2016 bis November 2019 war er leitender Geheimdienstoffizier beim National Reconnaissance Office (NRO). Gemäß seiner vor einem Ausschuss des Repräsentantenhauses im US-Kongress gegebenen Auskunft war er dabei ab 2019 bis Ende 2021 ein Abgesandter des NRO bei der UAPTF. Danach, von November 2021 bis April 2023, war er bei der National Geospatial-Intelligence Agency (NGA) beschäftigt, für die er nach mündlicher Mitteilung im Kongress zunächst der UAPTF, später AARO Bericht erstattet hat.[44] Gruschs Behauptungen, wie sie im folgenden Abschnitt vor Augen geführt werden, sind damit die Behauptungen eines Menschen, der zur Geschichte staatlicher Untersuchungen dazugehört und zumindest vor diesem Hintergrund Gehör verdient.

3. Mitteilungen eines Whistleblowers

Die Kernbehauptungen von Grusch basieren auf der Behauptung, im Rahmen von Gesprächen mit Personen aus dem Regierungs-, Militär- und Geheimdienstapparat breitgefächerte Informationen über nichtmenschliche Technologie und Wesen erhalten zu haben.[45] Gruschs Behauptungen sind damit komplexer Natur. Sie lassen sich auf folgende Weise gliedern:

(1) Grusch behauptet, im Rahmen seiner Tätigkeit für die UAPTF mit etwa 40 Personen aus dem Regierungs-, Militär- und Geheimdienstapparat gesprochen zu haben – eine Behauptung, der zufolge seine Tätigkeit nicht allein darin bestand, Daten zu analysieren und Informationen auszuwerten. Grusch war danach mit Menschen im Austausch, die weder zur UAPTF gehörten noch für diese tätig waren, und führte Interviews.

(2) Grusch behauptet, dass diese Personen ihn mit Informationen versorgt haben, die sich im Kern folgendermaßen darstellen lassen: In der Vergangenheit seien intakte und teilweise intakte Vehikel von teils beträchtlicher Größe geborgen worden, die aufgrund ihrer Morphologie und Materialeigenschaften nichtmenschlichen Ursprungs sind und auf eine nichtmenschliche Intelligenz hinweisen. Dabei seien auch tote Wesen gefunden worden. Seit Jahrzehnten würde die Regierung in Zusammenarbeit mit Verbündeten und privatwirtschaftlichen Akteuren die Bergung von nichtmenschlicher Technologie betreiben – im Rahmen von streng geheimen Programmen, die verdeckt in verschiedenen Behörden angesiedelt seien. Die Existenz dieser Programme würde vor dem Kongress geheim gehalten werden, so dass es keine angemessene politische Kontrolle geben könne. Um diese Programme geheim zu halten, seien Menschen sogar getötet worden. Seit Jahrzehnten würde es darüber hinaus einen vor den Augen der Öffentlichkeit verborgenen Kalten Krieg geben, in dem die USA und die mit ihnen konkurrierenden Mächte versuchen, Abstürze und/oder Landungen zu lokalisieren, um das geborgene Material auszuwerten und durch Nachkonstruktion (reverse engineering) maßgebliche Vorteile hinsichtlich nationaler Verteidigung zu erlangen.[46]

(3) Grusch behauptet, dass ihm einzelne Dokumente vorgelegen haben, die in einem Zusammenhang mit den Informationen stehen, die er von den Personen aus dem Regierungs-, Militär- und Geheimdienstapparat erhalten haben will.

(4) Grusch behauptet, dass die unter Punkt (2) angeführten Inhalte der Wirklichkeit entsprechen, d.h., Grusch behauptet, dass jenes der Fall ist. Damit macht sich Grusch die Aussagen anderer Personen zu eigen, eine Position, die nicht alternativlos ist. Denn Grusch hätte es bei den Behauptungen (1) und (2) belassen und dafür werben können, zu untersuchen, ob die Aussagen jener Personen richtig sind. Grusch aber ist mit einer Behauptung an die Öffentlichkeit gegangen, der die Behauptungen (1), (2) und (3) zugrunde liegen und die in der Behauptung (4) besteht. Wenn im Folgenden von Gruschs Behauptungen die Rede ist, dann in der Regel im Sinne von Behauptung (4).

Ein Schreiben seines Anwalts an den Generalinspekteur der Geheimdienste vom 25. Mai 2022 lässt Entwicklungen zwischen 2019 und 2022 besser verstehen, durch die Grusch zu einem Whistleblower wurde.[47] Danach erfuhr Grusch durch seine Tätigkeit für die UAPTF, dass dem Kongress Geheiminformationen über UAP durch das Wirken von Geheimdienstpersonal vorenthalten werden. Aus diesem Grunde reichte er im Juli 2021 eine diesbezügliche Beschwerde beim Generalinspekteur des Verteidigungsministeriums ein. Im Schreiben seines Anwalts wird allerdings nicht deutlich, ob er den Generalinspekteur nur allgemein darüber in Kenntnis setzte, dass dem Kongress UAP-bezogene Informationen vorenthalten werden, oder ob er ihm auch vollständig jene konkreten Inhalte mitteilte, die er später selbst öffentlich machte. Aus einem im Januar 2024 freigegebenen Dokument, in dem das Büro des Generalinspekteurs des Verteidigungsministeriums ein am 12. Juli 2021 stattgefundenes Treffen mit Grusch zusammenfasst, wird dagegen folgendes deutlich: Grusch hat den Generalinspekteur des Verteidigungsministeriums mit allgemeinen Hintergrundinformationen darüber versorgt, welche Maßnahmen das Verteidigungsministerium in puncto UAP unternimmt. In diesem Rahmen hat er zur Kenntnis gegeben, dass es keine Prozeduren für die Erstattung von Berichten über Sichtungen und für Anregungen von Untersuchungen gibt. Außerdem sei die Ausarbeitung des damaligen (ersten) UAP-Berichts nicht sehr gründlich gewesen. Darüber hinaus riet Grusch dem Generalinspekteur, hinsichtlich möglicher geborgener UAP-Materialien eine bestimmte Person bei der Luftwaffe zu kontaktieren.[48]

In den Monaten nach diesem Treffen, so Grusch, sah er sich wiederholt Belästigungen und Vergeltungsmaßnahmen ausgesetzt. Dies führte dazu, dass er am 25. Mai 2022 über seinen Anwalt Charles McCullough, einem von Barack Obama eingesetzten, ehemaligen Generalinspekteur der Geheimdienste, abermals eine Beschwerde einreichte, dieses Mal in Form einer Beschwerde wegen Repressalien beim gegenwärtigen Generalinspekteur der Geheimdienste. Aus dem Schreiben selbst wird nicht ersichtlich, ob Grusch den Generalinspekteur auch über geheim gehaltene Programme informierte. Neben einer Darstellung der genannten Vorgänge findet sich im Schreiben seines Anwalts die wichtige Mitteilung, dass Grusch nunmehr den Wunsch habe, sein Wissen über die Vorgänge den zwei Geheimdienstausschüssen im Senat und Repräsentantenhaus direkt mitzuteilen. McCullough bat den Generalinspekteur der Geheimdienste deshalb darum, Grusch eine direkte Kommunikation mit beiden Ausschüssen zu ermöglichen.

Kurze Zeit später, im Juli 2022, soll der Generalinspekteur mitgeteilt haben, dass er Gruschs Beschwerde für »glaubwürdig und dringlich« halte.[49] Unklar bleibt, ob sich diese Bewertung allein auf die Beschwerde wegen Repressalien oder auch auf Gruschs Behauptungen selbst bezieht. Sie führte jedoch anscheinend dazu, dass Gruschs Fall an den Kongress weitergeleitet wurde. Dort will Grusch nach eigener Auskunft in geheimen Sitzungen in mehr als 11 Stunden unter Eid ausgesagt haben. Verantwortliche im Kongress könnten deshalb seit 2022 über das informiert sein, was Grusch im darauffolgenden Jahr öffentlich geäußert hat oder über ihn mit seinem Einverständnis öffentlich berichtet wurde.

Am 26. Juli 2023 fand eine öffentliche Anhörung vor einem Unterausschuss im Repräsentantenhaus des US-Kongresses statt, in der Grusch unter Eid aussagte und sich den Fragen der Abgeordneten in einer gut zweistündigen, öffentlich übertragenen Sitzung stellte.[50] Hier hörte man, wie jemand seine Worte mit Bedacht wählte und sehr vorsichtig in der Beantwortung von Fragen war. Auf welchen der vier oben genannten Behauptungsebenen sich Grusch hauptsächlich bewegte und welche Einzelheiten der zweiten Ebene angesprochen wurden, müsste eine gesonderte Untersuchung zeigen. Dasselbe gilt für die Frage, wie diese Anhörung zustande kam und welche Personen, die nicht zum Kongress gehören, auf welche Weise in der Vorbereitung mitwirkten. Zu der Anhörung waren auch zwei ehemalige Kampfpiloten geladen, Ryan Graves und David Fravor. Beide erzählten von Sichtungen von Objekten mit außergewöhnlichen Flugeigenschaften, die mit dem gegenwärtigen Stand bekannter Technologie nicht erklärt werden könnten. Es sei nicht vorstellbar, dass Menschen heute in der Lage sind, das zu bauen, was Piloten seit Jahren auf ihren Flügen vor der Ost- und Westküste der USA sehen.[51]

Grusch hat seine Aussagen vor dem Kongress unter Eid geleistet. Dies schließt allerdings nicht aus, dass er nicht die Wahrheit gesagt hat, auch wenn Gruschs Behauptungen von einem ehemaligen Oberst der US-Armee namens Karl E. Nell in wichtigen Punkten gestützt werden.[52] Sollte Grusch nicht nur im Kongress, sondern auch davor in den wesentlichen Punkten nicht die Wahrheit gesagt habe, kann es natürlich dennoch wahr sein, dass die USA im Besitz einer nichtmenschlichen Technologie sind. Denn die Lüge würde in keinem Widerspruch zu einer solchen Möglichkeit stehen. Schließlich kann es eine solche Technologie auf der Erde nicht nur unter der Bedingung geben, dass eine Person namens David Grusch mit Personen gesprochen hat, die sagen, dass jenes der Fall ist. Für die Frage nach der Wahrheit einer Aussage wie derjenigen, dass die USA im Besitz einer nichtmenschlichen Technologie sind, spielt es also keine Rolle, ob Grusch lügt. Lügt Grusch aber nicht, heißt dies nicht notwendig, dass die USA im Besitz einer nichtmenschlichen Technologie sind. Denn sollte es wirklich zu den behaupteten Interviews gekommen und Grusch mit Aussagen darüber konfrontiert worden sein, dass es Technologien nichtmenschlichen Ursprungs auf der Erde gibt, bestehen zwei Möglichkeiten: Seine Gesprächspartner lügen, oder sie lügen nicht. Lügen sie nicht, ist nichtmenschliche Technologie auf der Erde präsent; lügen sie aber, könnte Grusch das Opfer von gezielter Desinformation oder von Menschen sein, die Spaß daran finden, einen Narren aus ihm zu machen. 

Welche dieser Varianten die richtige ist, kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht entschieden werden. Es ist allerdings nicht unwahrscheinlich, dass Grusch jene Interviews wirklich führte und mit Aussagen konfrontiert wurde, wie er sie gegenwärtig in der Öffentlichkeit wiedergibt. Denn Marco Rubio, republikanischer Senator und stellvertretender Vorsitzender des Geheimdienstausschusses im Senat, teilte in einem Fernsehinterview mit, dass mehrere Regierungsmitarbeiter, mit denen vielleicht auch Grusch in seinen Nachforschungen gesprochen habe, Aussagen gemacht hätten, die den Aussagen Gruschs im Grundsatz gleichen.[53] Damit ist zwar nicht bewiesen, dass Grusch Gespräche mit Personen aus dem Regierungs-, Militär- und Geheimdienstapparat führte. Rubios Einlassung verweist uns aber auf den Umstand, dass der Fall Grusch aus heutiger Perspektive ungeahnte politische Dimensionen hat, mit denen der US-Kongress in den Mittelpunkt des Geschehens rückt. Niemand wird bestreiten wollen, dass Gruschs Behauptungen, sobald man sie in Kontexten besser zu verstehen sucht, auf Verschwörungstheorien verweisen. In einer Monographie über den Fall Grusch wäre ein Kapitel über diesen Zusammenhang unbedingt erforderlich. Das Kongressgeschehen der Gegenwart eröffnet nun jedoch nicht weniger wichtige Perspektiven, in denen die Behauptungen Gruschs sich als Teil von erstaunlichen politischen Entwicklungen zu erkennen geben. Vergegenwärtigen wir uns diese Entwicklungen in einem Überblick.

4. Der politische Kontext: Gesetzgebung im US-Kongress

Seit wenigen Jahren werden im US-Kongress Gesetzesvorhaben verhandelt, die unmittelbar auf UAP bezogen sind. In dem 2022 verfassten National Defense Authorization Act 2023 (NDAA 2023), der das Geschäftsjahr 2023 des Verteidigungsministeriums regelt, finden sich zum Beispiel mehrere Abschnitte, in denen das UAP-Thema behandelt wird. In Sektion 6802 heißt es etwa, dass dem Kongress ein Lagebericht vorgelegt werden soll, ob es Bemühungen gibt, UAP in den eigenen Besitz zu bringen oder sie zu verwerten.[54] In Sektion 1673 geht es um Prozeduren für autorisierte Berichterstattung über UAP, aber auch um Inhalte möglicher Berichterstattung: zum einen UAP-Fälle selbst, zum anderen Programme (innerhalb der Regierung oder bei beauftragten Vertragspartnern) in Bereichen wie Materialbergung, Materialanalyse, Nachkonstruktion oder auch Forschung und Entwicklung.[55]

Im Intelligence Authorization Act 2024 (IAA 2024), der das Geschäftsjahr 2024 der Geheimdienste vorgibt, finden sich vergleichbare Passagen. In Sektion 1104 wird bestimmt, dass das freigegebene Budget nicht zur Finanzierung von UAP-Untersuchungsaktivitäten eingesetzt werden darf, die dem Kongress und dem Direktor von AARO nicht zur Kenntnis gebracht worden sind. Außerdem wird festgelegt, dass Personen AARO über den Besitz von Informationen und Materialien informieren müssen, die in einem Zusammenhang mit UAP stehen.[56]

Den Höhepunkt der Entwicklungen bildet ein parteiübergreifender Gesetzentwurf in Form eines Zusatzartikels zum NDAA 2024, den der demokratische Mehrheitsführer im Senat, Chuck Schumer, gemeinsam mit seinem republikanischen Kollegen Mike Rounds unter dem Titel »Unidentified Anomalous Phenomena Disclosure Act of 2023« vorgestellt hat.[57] Unterstützt wurde der Vorstoß von anderen prominenten Abgeordneten wie dem Republikaner Rubio und der demokratischen Senatorin Kristen Gillibrand. In Zeiten dramatischer politischer Spaltung findet der Senat also ausgerechnet dort zu einer gemeinsamen Haltung, wo es um die Frage nach Objekten geht, die, wie es im Gesetzentwurf heißt, »im Weltraum, im Luftraum, direkt über der Wasseroberfläche oder auch unter Wasser operieren können, sich der nüchternen Erklärung entziehen und Verhaltensweisen und Eigenschaften aufweisen, die nicht mit dem aktuellen Stand des Wissens über physikalische Gesetze in Einklang gebracht werden können«.[58]

Der Zusatzartikel lässt es auf seinen mehr als 60 Seiten an Eindeutigkeit und Deutlichkeit nicht missen. Es sei an der Zeit, herauszufinden, was die Regierung wisse. »Die amerikanische Öffentlichkeit hat das Recht«, so Schumer in einem öffentlichen Kommentar, »über Technologien unbekannten Ursprungs, nichtmenschliche Intelligenz und unerklärliche Phänomene informiert zu sein.«[59]

Schumer und seinen Mitstreitern geht es im Wesentlichen darum, im Nationalarchiv eine Sammlung von Dokumenten einzurichten, die bisher nicht zugänglich waren, und dafür zu sorgen, dass die Öffentlichkeit sich ein Bild über die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte machen kann. Ein neunköpfiger, vom amerikanischen Präsidenten zu ernennender Gutachterausschuss, darunter Personen aus den natur- oder ingenieurswissenschaftlichen Fächern sowie aus dem Bereich der Ökonomie, Geschichtswissenschaft und Soziologie, soll bei der Arbeit des Nationalarchivs mitwirken. [60] Im Entwurf findet sich die an den Gutachterausschuss gerichtete Vorgabe, dem Präsidenten und dem Archivar einen Plan für eine kontrollierte Enthüllungskampagne vorzulegen, unter anderem hinsichtlich Technologien unbekannten Ursprungs und biologischer Evidenz nichtmenschlicher Intelligenz.[61] Darüber hinaus muss der Ausschuss Zugang zu allen Berichten haben, die von Augenzeugen, Whistleblowern, Mitarbeitern von bisherigen Untersuchungsprogrammen und Menschen stammen, die sich in der Nähe von UAP aufgehalten haben.[62]

Wie kann man sich diese noch vor wenigen Jahren undenkbaren Gesetzesinhalte und -initiativen erklären? Angesichts der Inhalte und der Entwicklungen stellt sich die Frage, ob der Kongress – und nicht Grusch – die eigentliche Herausforderung ist. Hat sich der Ort politischer Repräsentation in ein politisches Tollhaus der Verrückten gewandelt? Durch wen oder was sind  Verantwortliche im Kongress motiviert, eine derart ungewöhnliche Gesetzgebung zu betreiben? Das Pentagon scheint hier nicht in Frage zu kommen, weil es seit 2021 mehrere Untersuchungsberichte vorgelegt hat, in denen zwar von bisher unbekannten Objekten mit teils außergewöhnlichen Eigenschaften die Rede ist. Diese Berichte sind aber weit davon entfernt, Bezugspunkt für die infrage stehenden Inhalte sein zu können. Wer keine Möglichkeit ausschließen möchte, kann natürlich darüber nachdenken, ob der offizielle Kenntnisstand im Pentagon wirklich den ganzen Kenntnisstand im Pentagon repräsentiert und ob es zwischen Verteidigungsministerium und Kongress einen informellen Austausch gibt, auf deren Grundlage einzelne Kongressabgeordnete das UAP-Thema in bisher ungeahnter Weise zum Gegenstand der Legislative machen.

Sehr viel schlanker in der Argumentation ist ein anderer Weg, über den wir die Gesetzgebung selbst berücksichtigen. In einem Passus in Sektion 2 des von Schumer und Rounds vorgeschlagenen Zusatzartikels zum NDAA 2024 heißt es, die vorgesehene Gesetzgebung sei notwendig, weil glaubhafte Indizien und Zeugenaussagen darauf hinweisen, dass die Regierung im Besitz von Unterlagen über unidentifizierte anomale Phänomene ist, die bisher nicht freigegeben worden sind oder nicht der vorgeschrieben Prüfung unterzogen wurden, ob sie freigegeben werden können.[63]

Damit steht fest, dass mindestens der Senat auf der Grundlage von Zeugenaussagen tätig wurde. Dabei darf nicht ausgeschlossen werden, dass Grusch Teil dieser Entwicklungen ist und seine Behauptungen mit dazu beigetragen haben, dass sich der Kongress in seiner Arbeit mit Themen wie nichtmenschlicher Technologie und Intelligenz beschäftigt und die US-Regierung auffordert, entsprechende Schritte zur Klärung relevanter Fragen zu unternehmen. Der Kongress (in Gestalt führender Mitglieder) ist nicht zu einem politischen Tollhaus der Verrückten geworden, sondern offenbar daran interessiert, für glaubwürdig befundene Aussagen zur Grundlage von Gesetzgebung zu machen. Der parteiübergreifende Ansatz macht es dabei weniger wahrscheinlich, dass die jeweiligen Vorstöße parteipolitisch motiviert sind.

Im Dezember 2023 wurde der aus dem Senat kommende Entwurf für einen Zusatzartikel zum NDAA 2024 im Repräsentantenhaus, in dem eine republikanische Mehrheit herrscht, blockiert und durch eine relativ kurze Version ersetzt. Die gesetzgewordene Fassung, die sich in den Sektionen 1841, 1842 und 1843 des NDAA 2024 findet, lässt den relevanten Stellen viel Spielraum für Entscheidungen darüber, ob sie dem Nationalarchiv UAP-bezogene Dokumente zukommen lassen, und sieht darüber hinaus keine Einrichtung eines Gutachtergremiums im Nationalarchiv vor.[64] Die Vision war eine andere. Und doch ist ein wichtiger Schritt gemacht, weil sich im Nationalarchiv jetzt ein Ort der öffentlichen Auseinandersetzung mit Dokumenten entwickeln kann, die zur Kenntnis genommen oder bestaunt werden können oder aber der Gegenstand von Forschung und rationalem Diskurs sind.

5. Anmerkungen zu einem Konzept von UAP-Forschung

Eine Aussage kann – anders als zum Beispiel eine Frage – wahr oder falsch sein. Mit Aussagen machen wir Behauptungen, die in der Regel nicht explizit als Behauptungen ausgewiesen werden. Aussagen wie »Der Durchmesser des sichtbaren Universums beträgt etwa 93 Milliarden Lichtjahre« oder »Im sichtbaren Universum gibt es mindestens eine Billion Galaxien, die jeweils Milliarden von Sonnen und Planeten enthalten« sind Sätze, von denen diejenige Person, die sie formuliert, behauptet, dass sie wahr sind, ohne eigens zu formulieren, mithin zu behaupten, dass sie wahr sind. Gleichwohl verstehen wir immer schon, dass wir Aussagen nicht einfach nur hinnehmen müssen, sondern mitunter beauftragt sind, sie als Behauptungen zu behandeln und entsprechend zu prüfen. In manchen Fällen müssen wir Aussagen allerdings gar nicht als Behauptungen exponieren, weil sie immer schon als solche exponiert sind. Damit einher gehen dann besonders ambitionierte Versuche, festzustellen, ob diese Behauptungen wahr oder falsch sind.

Nun gibt es jedoch Aussagen, die immer schon als Behauptungen behandelt werden, ohne dass sie sich einer Prüfung anbieten. Ein Beispiel dafür sind die Behauptungen von David Grusch. Sie sind keiner öffentlichen Prüfung zugänglich wie dies etwa bei der Aussage der Fall ist, dass sich das Universum derzeit immer schneller ausdehnt. Denn um diese Aussage zu prüfen, kann sich jeder, der es möchte, mit empirisch gewonnenen Daten beschäftigen, die öffentlich zugänglich, d.h. in wissenschaftlichen Texten zu lesen sind, oder selbst entsprechende Daten durch Beobachtung gewinnen.

Anders verhält es sich im Falle der Behauptungen von Grusch. Sie haben zwar viel öffentliche Aufmerksamkeit erregt, können aber nach Stand der Dinge nicht Gegenstand öffentlicher Prüfverfahren sein. Aus diesem Grunde ist Grusch nicht nur mit der Frage konfrontiert, ob seine Behauptungen wahr oder falsch sind, sondern auch mit der Aufforderung, selbst Beweise vorzulegen. Da Grusch solche Beweise bisher nicht vorgelegt hat, stehen wir vor dem Problem, mit Behauptungen konfrontiert zu sein, die weder einer öffentlichen Prüfung zugänglich sind noch von Grusch selbst bewiesen werden. Es nimmt deshalb kein Wunder, dass das öffentliche Interesse an diesen Behauptungen nachgelassen hat. Schließlich scheint sein Fall in eine Sackgasse zu führen, in der wir keine Praxis der Auseinandersetzung entfalten können, sei es mit den Behauptungen selbst oder Dokumenten, die etwas beweisen sollen (aber eben nicht vorliegen). Grusch scheitert, so könnte man meinen, an Behauptungen, die keine sinnvolle Tätigkeit zulassen und sich gegen eine erforderliche Praxis sperren.

Die ersten vier Abschnitte dieses Textes finden ihren allgemeinen Zweck darin, eine weitere Perspektive auf die Behauptungen von Grusch einzunehmen. Wer nur Beweise fordert, muss sich den Vorwurf der Diskursverweigerung gefallen lassen. Und wer keine Möglichkeiten sieht, öffentlich mit Behauptungen umzugehen, die sich öffentlich nicht prüfen lassen, muss sich fragen, ob hier nicht derselbe Vorwurf erhoben werden könnte. Worum es mir in dieser Hinsicht grundsätzlich geht? Grusch macht Aussagen, die immer schon als Behauptungen exponiert sind und damit leicht in einer Sackgasse münden. Sie sind aber nicht mehr als Behauptungen exponiert, wenn wir sie als Aussagen diskutieren und dabei kontextualisieren, ohne diese Tätigkeit von der Frage abhängig zu machen, ob jene Aussagen wahr oder falsch sind.

In Behauptungen Aussagen zu sehen, die man kontextualisieren sollte, heißt nicht, die Wahrheitsfrage zu relativieren oder gar zu suspendieren und erst recht nicht, Grusch eine Vorzugsbehandlung zu gewähren. Es heißt nur, eine Sackgasse zu meiden und nach Wegen der Auseinandersetzung zu suchen. Wie die bisherigen Ausführungen zeigen, sind Gruschs Behauptungen in komplexen Kontexten zu verorten, in denen sie weiter erforscht werden sollten.

Der kurze Einblick in die Geschichte von Untersuchungen hat zumindest deutlich machen können, dass Gruschs Behauptungen im Lichte dieser Untersuchungen nicht von vornherein unsinnig erscheinen. Objekte und Phänomene, die auch nach einer Untersuchung unidentifiziert bleiben, hätten bei besserer Datenlage möglicherweise mit etwas Bekanntem erklärt werden können. Nicht weniger einzuräumen ist jedoch die Möglichkeit, dass es selbst bei besserer Datenlage dabei geblieben wäre, etwas als etwas Unidentifiziertes einstufen zu müssen. Aus diesem Grunde lassen bisherige Untersuchungen Raum für den Gedanken, dass gesehene und aufgezeichnete Objekte in einem Zusammenhang mit nichtmenschlicher Technologie stehen. Über die Wahrscheinlichkeit ist damit freilich keine Aussage gemacht. Die Geschichte bisheriger staatlicher (und staatlich finanzierter) Untersuchungen in den USA sollte vor diesem Hintergrund weder für noch gegen Grusch in Stellung gebracht werden. Ein Mittelweg besteht darin, mit einem Bewusstsein für bestimmte Entwicklungen der letzten Jahrzehnte motiviert zu sein, sich weiter mit dem Fall Grusch zu beschäftigen – wie auch mit der Geschichte bisheriger Untersuchungen, die sich nicht auf die USA beschränken, einer kritischen und vergleichenden Analyse unterzogen und in ihren Ergebnissen einer UAP-Forschung der Gegenwart zugänglich gemacht werden müssen.

Der persönliche Weg von Grusch hin zu einem Whistleblower und, später, zu einer öffentlichen Figur muss zweifelsohne noch besser verstanden werden. Allerdings dürften die gemachten Ausführungen hinreichend sein, um schon jetzt zu verstehen, dass Grusch sich über seinen Anwalt und andere Personen bis in den Kongress vorgekämpft und zuvor anscheinend vieles versucht hat, um innerhalb seines beruflichen Umfeldes für Aufklärung zu werben. Der berufliche Kontext seiner Behauptungen und die politische Anhörung seines Falles geben Gründe, sich mit ihm selbst nicht weniger als mit den Inhalten seiner Behauptungen auseinanderzusetzen. Dabei sollte natürlich auch untersucht werden, ob Grusch nicht die Wahrheit sagt, d.h. lügt, und/oder Teil einer Gruppe von Menschen ist, die eine bestimmte Agenda verfolgt und ein Interesse daran hat, das öffentliche Gespräch über nichtmenschliche Technologie und Wesen im Kontext von Vorstellungen über Geheimhaltungspraktiken im US-Regierungs-, Militär- und Geheimdienstapparat am Laufen zu halten.

Grundsätzlich scheinen drei Rollen am wahrscheinlichsten. So könnte Grusch ein selbstloser Kämpfer für Transparenz und politische Kontrolle staatlicher Untersuchungen sein, der entweder wirklich auf Missstände hinweist und damit zugleich eine menschheitsgeschichtliche Zäsur in die Wege leitet (allein oder in Kooperation mit anderen) oder der das Opfer einer internen Desinformationskampagne oder einfach nur von Spaßvögeln ist, ein Mensch, der naiv genug war, den Geschichten seiner Gesprächspartner zu glauben und sie zum Anlass zu nehmen, sich für Transparenz und politische Kontrolle einzusetzen. Im ersten Fall wäre Grusch eine historische Figur, mit der sich die Weltgeschichte in ein Davor und ein Danach teilt. Im zweiten Fall wäre er eine tragische Figur, die sich hat instrumentalisieren oder einfach nur veräppeln lassen. Wenn aber Grusch kein Kämpfer für Transparenz und politische Kontrolle ist, bleibt ihm die Rolle des Lügners, der entweder auf eigene Faust handelt oder Teil einer Bewegung ist, deren Absichten sich vielleicht später einmal herausstellen werden.

Grusch ist entweder eine historische Figur, eine tragische Figur oder ein Lügner. Allerdings ließen sich noch weitere Möglichkeiten in Betracht ziehen, wenn man der eigenen Phantasie nur freien Lauf lässt. So bliebe Grusch wohl eine historische Figur, wenn wir von einer großangelegten Inszenierung ausgehen, mit der die US-Regierung oder gar eine Gruppe von Ländern eine Enthüllung dessen vorbereitet, was Grusch über seine Nachforschungen berichtet, nach Einschätzung der Verantwortlichen allerdings in Prozessen der öffentlichen Auseinandersetzung schrittweise verarbeitet werden muss. Wer spekulieren möchte, kann darüber nachdenken, ob Grusch nicht selbst Teil einer kontrollierten Enthüllung ist – entweder wissentlich oder unwissentlich – und an einem Schauspiel mitwirkt, dem andere vorausgingen und dem womöglich weitere folgen werden. Der Baum der Möglichkeiten kennt im Fall Grusch viele Äste.

In politischer Hinsicht hat sich gezeigt, dass Gruschs Aussagen in legislativen Initiativen und Gesetzestexten gleichsam gespiegelt werden. Es scheint, als wollten Teile des Kongresses auf der Grundlage von Zeugenaussagen herausfinden, ob die Regierung wirklich im Besitz nichtmenschlicher Technologie ist. Der Fall Grusch ist in dieser Hinsicht ein politischer Fall, sofern er sich als Teil eines Kongressgeschehens erweist, das zu verstehen zukünftigen Analysen vorbehalten bleibt. Vielleicht stellt sich darin eines Tages heraus, dass hier ein ehemaliger Geheimdienstmitarbeiter den Weg über den Ort politischer Repräsentation ging, um politisch organisierte Nachforschungen zu motivieren, weil er selbst keine Instrumente in der Hand hatte, um die Richtigkeit dessen zu beweisen, was andere ihm nach eigener Auskunft mitteilten.

Mit den bisherigen Ausführungen habe ich, wie im ersten Abschnitt angekündigt, das Ziel verfolgt, die Behauptungen Gruschs in einen Fall Grusch zu steigern. Sollte nunmehr ein Fall Grusch (zumindest umrisshaft) vor Augen stehen, haben die Ausführungen ihren Zweck erfüllt. In diesem Zusammenhang bleibt anzumerken, dass die Frage im Titel, wie wir mit dem Fall David Grusch im Kontext der Frage nach einer UAP-Forschung umgehen sollten, erst jetzt, da er vor Augen steht, zum Tragen kommt. Kann der Fall Grusch eine Rolle in der sich formierenden UAP-Forschung spielen? Oder müssen wir diese Forschung davor schützen, mit jenem Fall assoziiert zu werden?

Wer UAP-Forschung vorantreiben möchte, sollte keine Einwände dagegen haben müssen, dass andere sich intensiver mit dem Fall Grusch beschäftigen. Denn beides kann analytisch getrennt werden, sofern man voraussetzt, dass es sich um zwei voneinander getrennte Bereiche handelt, die erst im Verlaufe erster Ergebnisse möglicherweise aufeinander bezogen werden können. Man kann sogar die Überlegung, dass es sich bei UAP um nichtmenschliche Technologie handelt, ernst nehmen und wissenschaftlich diskutieren, ohne dafür den Fall Grusch zu einem forschungslogischen Faktor zu machen. Ein gutes Beispiel dafür ist der ehemalige, im Dezember 2023 zurückgetretene Direktor von AARO, Sean Kirkpatrick, der vor Kurzem im Scientific American hart mit Grusch ins Gericht gegangen ist, ohne seinen Namen zu nennen, und im letzten Jahr gemeinsam mit dem Physiker Avi Loeb ein Paper zu UAP verfasst hat, in dem unter anderem die Frage erörtert wird, ob es sich bei unidentifizierten Phänomenen um Sonden einer nichtmenschlichen Zivilisation handeln könnte.[65]

Nun sollte man sich allerdings nicht ohne Not dazu entscheiden, den Fall Grusch ganz aus dem Bereich einer UAP-Forschung zu verbannen. Denn sobald man keine Hypothese von vornherein ausschließt und bereit ist, den Daten zu folgen, wohin auch immer sie weisen, bliebe darüber nachzudenken, wie man dem Fall Grusch einen Ort in solcher Forschung geben könnte. Eine Möglichkeit bestünde darin, verschiedene Arten von UAP zu unterscheiden, und zwar auf dem Boden der Feststellung, dass etwas immer für eine bestimmte Person oder eine Gruppe von Personen unidentifiziert bleibt und es darüber hinaus unterschiedliche Gründe gibt, warum etwas nicht identifiziert werden kann. Unter Berücksichtigung dieser Konstellation könnte man drei Arten von UAP unterscheiden:[66]

UAP der ersten Art: Etwas wird als unidentifiziert eingestuft, aber die klassifizierende Gruppe oder Person argumentiert, dass das Phänomen für sie wahrscheinlich identifizierbar wäre, wenn mehr und bessere Informationen (in Form von qualitativ hochwertigen Daten) zur Verfügung stünden. Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass eine andere Gruppe oder Person das Phänomen auf der Grundlage der verfügbaren Daten identifizieren könnte.

UAP der zweiten Art: Etwas wird als unidentifiziert eingestuft und würde für die Gruppe oder Person unidentifiziert bleiben, selbst wenn der Gruppe qualitativ hochwertige Daten zur Verfügung stünden. Die Gruppe oder Person argumentiert aber auch, dass das Phänomen für eine andere Gruppe oder Person identifizierbar sein könnte, die mehr Wissen über Technik oder Naturphänomene hat als sie selbst.

 UAP der dritten Art: Eine Person oder Gruppe argumentiert, dass etwas als unidentifiziert eingestuft werden muss, weil es hinreichend viele Daten gibt, um behaupten zu können, dass kein Wissen für eine Erklärung zur Verfügung steht – für die Person oder Gruppe selbst wie für jede andere Person oder Gruppe auch, wird argumentiert. Wenn etwas als UAP der dritten Art bestimmt wird, hat man Gründe, darüber nachzudenken, ob es sich bei einem unidentifizierten Phänomen um nichtmenschliche Technologie handelt. Solche Reflexion sollte durch eine internationale Zusammenarbeit von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern begleitet werden, die global auf dieses Phänomen aufmerksam machen würden, falls sie gemeinsam etwas als UAP der dritten Art klassifizieren.

Kommt dieses Klassifizierungssystem zur Anwendung, besteht UAP-Forschung nicht nur darin, etwas zu untersuchen, um es zu erklären. Denn zeigt sich, dass eine Erklärung nicht gegeben werden kann, muss es darum gehen, festzulegen, in welchem Sinne etwas unter den Bedingungen von Unsicherheit und Nichtwissen als UAP klassifiziert wird. Und sollte es Daten geben, die als UAP der dritten Art klassifiziert werden, hätte man besonders gute Gründe, Grusch zu einem Gespräch einzuladen, in dem er nicht vor Kongressabgeordneten, sondern Forschenden spricht. So frei sollte UAP-Forschung sein dürfen.

Mit diesem Vorschlag deutet sich an, dass es ein UAP-Klassifizierungssystem wäre, in dem sich Möglichkeiten der Auseinandersetzung dessen ergeben, was Grusch zufolge andere Personen über die Präsenz nichtmenschlicher Technologie auf dem Planeten Erde zu wissen meinen. Sollte es jemals dazu kommen, dass Daten als UAP der dritten Art klassifiziert werden, würde sich die entsprechende Forschung selbst desavouieren, wenn sie kein Interesse daran zeigte, das Gespräch mit Menschen aufzunehmen, die einmal hinsichtlich jener Präsenz mit starken, zunächst unglaublich scheinenden Thesen auf sich aufmerksam gemacht haben. Nachdem die NASA den Schritt gemacht hat, eine bestimmte Form der UAP-Forschung auszurufen, und einzelne wissenschaftliche Akteure ebenfalls engagiert sind, bleibt darüber nachzudenken, ob nicht der weitere Schritt folgen sollte, einen Bereich innerhalb dieser Forschung zu schaffen, in dem Aussagen über nichtmenschliche Technologie (auf dem Planeten Erde) ein legitimer Gegenstand der Auseinandersetzung sind. Integration – und nicht Ausgrenzung – von Themen, Problemen und Fragestellungen muss das Ziel sein. Vielleicht sieht man darin eines Tages in der Rückschau einen wichtigen Beitrag nicht nur zur UAP-Forschung, sondern auch zur Kultivierung des öffentlichen Diskurses über eine Menschheitsfrage.


[1] Vgl. Alexander Wendt, Raymond Duvall, »Sovereignty and the UFO«, in: Political Theory 36 (2008) 4, S. 607-633.

[2] Vgl. M.E. Yingling, C.W. Yingling, B.A. Bell, > »Faculty perceptions of unidentified aerial phenomena«, in: Humanities and Social Sciences Communications 10 (2023), Artikelnr. 246.

[3] Vgl. NASA > »NASA Unidentified Anomalous Phenomena Independent Study Team Report« (2023), S. 7 (Übersetzung des Verfassers).

[4], An der Harvard University hat der Physiker Avi Loeb das Galileo-Projekt ins Leben gerufen. Eine Art Programmschrift des Galileo-Projekts bieten Wesley A. Watters, Abraham Loeb, Frank Laukien et al., > »The Scientific Investigation of Unidentified Aerial Phenomena (UAP) Using Multimodal Ground-Based Observatories«; in: Journal of Astronomical Instrumentation 12 (2023) 1. In Würzburg leitet Hakan Kayal, Professor für Raumfahrttechnik, das Interdisziplinäre Forschungszentrum für Extraterrestrik. Zur Forschung dort vgl. u.a. H. Kayal, T. Greiner, T. Kaiser, C. Riegler > »Erforschung des Unidentified Aerial Phenomena an der JMU Würzburg«, Deutscher Luft- und Raumfahrtkongress 2022 (abgerufen über: Deutsche Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt).

[5] Vgl. Greg Eghigian, Christian Peters, > »It’s Time to hear from Social Scientists about UFOs«, in: Scientific American, 2.10.2023 (Op-Ed).

[6] Entsprechende, in verschiedenen akademischen Disziplinen durchgeführte Untersuchungen gibt es seit Jahrzehnten. Sie sind allerdings auch kritisch zu betrachten, weil der, allgemein formuliert, kulturwissenschaftliche Fokus seinen Anteil daran hat, dass eine objektbezogene Untersuchung von Daten und die Frage nach der physischen Realität keine Bedeutung gewinnen konnten (vgl. Michael Schetsche, Andreas Anton, »Einleitung: Diesseits der Denkverbote«, in: Diesseits der Denkverbote. Bausteine für eine reflexive UFO-Forschung, hg. von Michael Schetsche, Andreas Anton, Berlin 2013, S. 7-27, hier S. 7 ff.). Die positiven Entwicklungen der Gegenwart wiederum dürfen nicht in das Gegenteil umschlagen und dazu führen, dass wir Forschung jetzt nur noch als eine Beschäftigung mit Objekten und vorliegenden Daten verstehen.

[7] Einen Vorschlag dazu unterbreite ich in einem Diskussionspapier der denkwerkstatt grenzenlos: Claus Langbehn, »Shifting Language. Towards a Definition of the Term UAP«, denkwerkstatt grenzenlos, Themenfeld Planet und Natur im Themenfeldbereich > »UAP – eines der ›größten Rätsel auf unserem Planeten‹«.

[8] Zur philosophischen Auseinandersetzung mit Verschwörungstheorien vgl. Karl Hepfer, Verschwörungstheorien. Eine philosophische Kritik der Unvernunft, 3. Aufl., Bielefeld 2021; das UFO-Thema wird behandelt zum Beispiel bei Andreas Anton, Alan Schink, Der Kampf um die Wahrheit. Verschwörungstheorien zwischen Fake, Fiktion und Fakten, München 2021, S. 176 ff., 190 ff.; Alan Schink, Verschwörungstheorien und Konspiration. Ethnographische Untersuchungen zur Konspirationskultur, Wiesbaden 2020, S. 380 ff.; Katharina Nocun, Pia Lamberty, Fake Facts. Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen, Köln 2020, S. 49 ff.; Robert A. Wilson, Das Lexikon der Verschwörungstheorien. Verschwörungen, Intrigen, Geheimbünde. Aus dem Amerikanischen von Gerhard Seyfried, hg. und bearbeitet von Mathias Bröckers, Frankfurt/M. 2000 (das Thema wird in vielen Einträgen behandelt). Butter führt »Ufologen« als ein Beispiel für die »konspirationistischen Subkulturen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts« an (vgl. Michael Butter, »Nichts ist, wie es scheint«. Über Verschwörungstheorien, Berlin 2018, S. 192 f.).

[9] Vgl. Lydia Saad, > »Larger minority in U.S. says some UFOs are alien spacecraft«, Gallup, 8/20/2021.

[10] Vgl. Lydia Saad, > »Americans skeptical of UFOs, but say government knows more«, Gallup, 9/6/2021.

[11] Vgl. Claus Langbehn, Kultur des Selbstdenkens. Versuch über öffentliche Philosophie, Weilerswist 2022, S. 8.

[12] Vgl. Richard Stothers, »Unidentified Flying Objects in Classical Antiquity«, in: The Classical Journal 103 (2007) 1, S. 79-92, hier S. 89 f.

[13] Vgl. US Air Force, Air Material Command, Unidentified Aerial Objects: Project SIGN, no. F-TR 2274, IA, February 1949, Records of the US Air Force Commands, Activities and Organizations, Record Group 341, National Archives and Records Administration, im Folgenden bezeichnet als Dokumentensammlung > Projekt Sign (abgerufen über: Wikimedia). Seit Januar 2016 ist sie auch im > Internet Archive einsehbar.

[14] Vgl. Dokumentensammlung > Projekt Sign, Internetseite 16.

[15] Vgl. > ebd., Internetseite 9.

[16] Ebd., > Internetseite 4 (Übersetzung des Verfassers).

[17] Vgl. > ebd., Internetseite 14.

[18] Vgl. > ebd., Internetseite 19.

[19] Vgl. David M. Jacobs, The UFO Controversy in America, Bloomington/London 1975, S. 46. – Der erste Leiter von Projekt Blue Book, Edward J. Ruppelt, schrieb in der Rückschau auf Projekt Sign, dass die Militärs im ersten Untersuchungsprojekt nicht fragten, ob sich etwas Physisches hinter den Sichtungen verbirgt. Stattdessen habe die Frage dominiert, ob es die Russen oder Außerirdische sind (vgl. Edward J. Ruppelt, The Report on Unidentified Flying Objects, New York 1956, S. 31 f.).

[20] Vgl. »Letter – J.E. Lipp to Brigadier General Putt – Project SIGN, No. F-TR 2274-IA«, in: Scientific Study of Unidentified Flying Objects, conducted by the University of Colorado under contract to the United States Air Force, edited by Edward U. Condon, Daniel S. Gillmor, with an introduction by Walter Sullivan, New York 1969, S. 844-852.

[21] Vgl. Jacobs, The UFO Controversy in America, a.a.O., S. 50; Gerald K. Haines, > »CIA’s Role in the Study of UFOs. A Die-Hard Issue«, in: Studies in Intelligence, Vol. 40, No. 5, Semiannual Edition, 1997, No. 1, S. 67-84, hier S. 68 (abgerufen über: Defense Technical Information Center).

[22] Vgl. »Report of Meetings of Scientific Advisory Panel on Unidentified Flying Objects« (Robertson Panel), 14-18 January 1953, in: Scientific Study of Unidentified Flying Objects, a.a.O., S. 905-917 (elektronisch abrufbar im > »FOIA Electronic Reading Room« der Central Intelligence Agency). Ene kurze Übersicht gibt Haines, > »CIA’s Role in the Study of UFOs«, a.a.O., S 71 f..

[23] Vgl. »Report of Meetings of Scientific Advisory Panel on Unidentified Flying Objects«, a.a.O., S. 915 ff.

[24] Vgl. Haines, > »CIA’s Role in the Study of UFOs«, a.a.O., S. 67.

[25] Vgl. J. Allen Hynek, »Are Flying Saucers Real?«, in: The Saturday Evening Post, 17.12.1966, S. 17-21, hier S. 19.

[26] Vgl. Scientific Study of Unidentified Flying Objects, a.a.O., S. 1-6.

[27] Vgl. James McDonald, »Science in Default. Twenty-two Years of Inadequate UFO Investigations«, in: UFOs. A Scientific Debate, ed. by Carl Sagan, Thornton Page, Ithaca/London 1972, S. 52-122 (online: McDonald, > »Science in Default«, abgerufen über: Princeton University).

[28] Vgl. Peter A. Sturrock, > »An Analysis on the Condon Report on the Colorado UFO Project«, in: Journal of Scientific Exploration 1 (1987) 1, S. 75-100, hier S. 75.

[29] Vgl. Hynek, »Are Flying Saucers Real?«, a.a.O., S. 18.

[30] Ebd. (»Now, finally, the Air Force has begun a serious scientific investigation of the UFO phenomena.«) (Übersetzung des Verfassers).

[31] J. Allen Hynek, The UFO Experience. A Scientific Inquiry, Chicago 1972, S. 192 (»Science is not always what scientists do«) (Übersetzung des Verfassers).

[32] Zur Geschichte des Verhältnisses von sogenannter Ufologie und Wissenschaft vgl. Greg Eghigian, »Making UFOs Make Sense: Ufology, Science, and the History of Their Mutual Mistrust«, in: Public Understanding of Science 26 (2017), S. 612-626.

[33] Vgl. Condon > »Conclusions and Recommendations«, in: Scientific Study of Unidentified Flying Objects, a.a.O., S. 4 f.

[34] Die Beobachtung des Fehlens von einzelnen Forschungsprojekten bezieht sich auf Untersuchungen, die Phänomene selbst zum Gegenstand der Untersuchung machen, vorliegende Daten und/oder Sichtungsberichte berücksichtigen und eine Antwort auf die Frage geben möchten, ob es sich um physische Objekte handelt und, falls ja, welche Eigenschaften sie haben. Die Aussage, dass solche Forschung an Universitäten seit den 1970er-Jahren nicht beheimatet war, heißt nicht, dass es keine Untersuchungen überhaupt gegeben hat. In seinem Zusammenhang mit Religion, Weltanschauung, Esoterik oder auch Literatur wurde das Thema durchaus Gegenstand einzelner Untersuchungen in verschiedenen Disziplinen.

[35] Vgl. The National Archives (UK), > »Unidentified Aerial Phenomena in the UK Air Defence Region«, 10.11.2012. – Die Geschichte des Akronyms ist noch nicht hinreichend erforscht. Allerdings fällt auf, dass es gegen Ende der 1990er-Jahre eine Koinzidenz gibt: Ein Autor mit Namen Mark Raimer schlug im Jahre 1999 vor, anstelle des Akronyms UFO das Akronym UAP (Unidentified Aerial Phenomena) zu verwenden, weil die Rede von UFO die Gefahr von Ungenauigkeit mit sich bringe. kulturell belastet sei und zu sehr in unmittelbare Verbindung mit Außerirdischen gebracht werde (vgl. Mark A. Raimer, »The war of the words. Revamping operational terminology for UFOs«, in: International Society for General Semantics 1999 (56) 1, S. 53-59, hier S. 55 f.). Raimer weist zudem darauf hin, dass er den Ausdruck »unidentified aerial phenomenon« (und also nicht, wie es scheint, das Akronym UAP) in einem Memorandum vom 22. März 1949 gefunden habe, das vom U.S. Strategic Air Command für den FBI-Direktor verfasst worden sein soll (ebd. S. 59, Anm. 8).

[36] Vgl. Office of the Director of National Intelligence, > »Preliminary Assessment: Unidentified Aerial Phenomena«, 25.06.2021.

[37] Vgl. > ebd., S. 3.

[38] Vgl. > ebd., S. 5.

[39] Vgl. > ebd., S. 6.

[40] Vgl. > ebd., S. 5 f.

[41] Vgl. All-domain Anomaly Resolution Office (AARO), > »2022 Annual Report on Unidentified Aerial Phenomena«, 13.01.2023, S. 5. 

[42] Vgl. U.S. Department of Defense, > »DoD Announces the Establishment of the All-domain Anomaly Resolution Office«, 20.07.2022.

[43] Vgl. > All-Domain Anomaly Resolution Office, U.S. Department of Defense, Website (Stand: 20.12.2023).

[44] Vgl. dazu > »Lebenslauf David Grusch« (abgerufen über: Website des Repräsentantenhauses im US-Kongress). Grusch stand nach eigenen, in der Kongressanhörung vom 26. Juli 2023 unter Eid gemachten Angaben über einen »Zeitraum von vier Jahren« in einem Verhältnis zur UAPTF. Im ersten Zeitraum zwischen 2019 und 2021 sei er über die NRO für die UAPTF tätig gewesen. Warum Grusch von der NRO zur NGA wechselte, scheint nicht bekannt. Von einer unmittelbaren Mitarbeit bei der UAPTF im Rahmen seiner Arbeit für die NGA ist keine Rede. Stattdessen spricht Grusch lediglich davon, dass er der UAPTF und der AARO zwischen 2021 und 2023 Bericht erstattet hat. Im Lebenslauf weist er sich für diesen Zeitraum so auch als leitenden technischen Berater hinsichtlich UAP- und Transmedium-Angelegenheiten aus. – Seit Mai 2023 ist Grusch dem Lebenslauf zufolge für die Sol Foundation tätig, die von Garry Nolan gegründet wurde, einem Immunologen an der Stanford University.

[45] Da Grusch nicht spezifiziert, aus welchen Bereichen (Abteilungen etc.) genau die betreffenden Personen kommen, ist hier und im Folgenden vom Regierungs-, Militär- und Geheimdienstapparat die Rede, um möglichst viele Bereiche abzudecken und offen zu lassen, welche Stellen innerhalb dieses Komplexes gemeint sind.

[46] Gruschs Behauptungen wurden erstmals im Juni 2023 öffentlich, zunächst in einem Magazinbeitrag und kurze Zeit später durch ein Fernsehinterview (vgl. Leslie Kean, Ralph Blumenthal, > »Intelligence Officials say U.S. has retrieved craft of non-human origin«, in: The Debrief, 5.06.2023; NewsNation > »We are not alone: The UFO whistleblower speaks«, 11.06.2023).

[47] Vgl. > »Charles McCullough, David Grusch: Complainf of Reprisal«, 25.05.2022 (abgerufen über: Internet Archive).

[48] Vgl. Department of Defense Office of Inspector General > »UAP-related records FOIA release« (abgerufen über: FOIA Reading Room, DOD OIG Freedom of Information Act Office).

[49] Vgl. Kean, Blumenthal, > »Intelligence Officials say U.S. has retrieved craft of non-human origin«, a.a.O.

[50] Vgl. CBS News, Committee on Oversight and Accountability, House of Representatives, > »Public Hearing on UAP«, 26.08.2023.

[51] Eine Analyse von Daten des sogenannten Nimitz-Vorfalls, bei dem David Fravor beteiligt war, findet sich z.B. in Kevin H. Knuth, Robert M. Powell, Peter A. Reali: »Estimating Flight Characteristics of Anomalous Unidentified Aerial Vehicles«, in: Entropy 21 (2019), S. S. 6-14.

[52] Vgl. Kean, Blumenthal, > »Intelligence Officials say U.S. has retrieved craft of non-human origin«, a.a.O.

[53] NewsNation > »Banfield«, 27.06.2023.

[54] Vgl. > »National Defense Authorization Act 2023 (NDAA 2023)«, Sektion 6802.

[55] Vgl. > »NDAA 2023«, Sektion 1673.

[56] Vgl. > »Intelligence Authorization Act 2024 (IAA 2024)«, Sektion 1104.

[57] Vgl. > »Unidentified Anomalous Phenomena Disclosure Act of 2023« / Zusatzartikel (Gesetzentwurf) zum National Defense Authorization Act 2024 (NDAA 2024).

[58] Ebd., > Sektion 3 (Übersetzung des Verfassers).

[59] SenateDemocrats, > Pressemitteilung, 14.07.2023 (Übersetzung des Verfassers).

[60] Vgl. > »Unidentified Anomalous Phenomena Disclosure Act of 2023, Zusatzartikel zum NDAA 2024«, Sektion 7.

[61] Vgl. > ebd., Sektion 9.

[62] Vgl. > ebd., Sektion 10.

[63] Vgl. > ebd., Sektion 2.

[64] Vgl. > »National Defense Authorization Act 2024 (NDAA 2024)«, Sektionen 1841, 1842, 1843.

[65] Vgl. Sean Kirkpatrick, > »Here’s What I learned as the U.S. Government’s UFO Hunter«, in: Scientific American, 19.01.2024 (Op-Ed); Avi Loeb, Sean Kirkpatrick, > »Physical Constraints on Unidentified Aerial Phenomena«, Draft Version 07.03.2023.

[66] Für eine ausführlichere Diskussion der Unterscheidung von drei Arten von UAP und deren Einbettung in den Versuch einer Definition des Begriffs UAP vgl. Langbehn, > »Shifting Language«, a.a.O. (Themenfeld Planet und Natur im Themenfeldbereich »UAP – eines der ›größten Rätsel auf unserem Planeten‹«).

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