Kulturgeschichte des Rechts im Deutschland des 19. Jahrhunderts

Das deutsche Privatrecht des 19. Jahrhunderts übernahm die vom Wunsch nach Einheit und Ordnung geprägte Perspektive des Staates. Gesellschaft galt ihm als gefährlich, nicht als Ort der Wissensgenerierung und praktischer Handlungskontext. Das zeigt Karl-Heinz Ladeur in seinem jüngst bei Velbrück Wissenschaft erschienenen Buch und weist nach, wie stattdessen der Bildungsroman zur Reflexionsform des »Rechts als Kultur« und zum Medium der Selbstentwicklung des Rechtssubjekts wurde. Im Velbrück Magazin präsentiert er einige Vorüberlegungen zu Das Rechtssubjekt und sein Bildungsroman.

Kulturgeschichte des Rechts im Deutschland des 19. Jahrhunderts – zwischen idealistischer Philosophie und französischer Revolution

Vorüberlegungen zum Rechtssubjekt und seinem Bildungsroman

Karl-Heinz Ladeur

Vorbemerkung

Das Recht geht davon aus, dass es selbst bestimmt, was das Recht ist. Daran scheitern immer wieder Gespräche über Recht zwischen Juristen und anderen Sozial- und Geisteswissenschaftlern. Jeder rechtliche Gesichtspunkt muss selbst innerhalb des Rechts – am besten in einer Fallentscheidung verwertet werden können. Hier hat sich das Recht selbst zirkulär gut abgesichert. Allerdings gibt es eine Schwachstelle, und die ist die Normativität in der Normalität. Die heute scheinbar gesicherte Annahme, dass Gewohnheiten nicht Recht bilden (oder nur auf eine praktisch unmögliche Weise: über die Rechtsüberzeugung aller Beteiligten), widerspricht einer über Jahrhunderte geltenden Praxis. Im 19. Jahrhundert erscheint das Recht als etwas ausdrücklich Gesetztes – und zwar vom Staat Gesetztes. Dessen Monopol ist nur von wenigen Außenseitern in Deutschland, von Freirechtlern wie Eugen Ehrlich, bestritten worden. In der globalen Gesellschaft der Postmoderne, der Epoche der Fragmentierung der Gesellschaft und der Lebensformen, setzt sich immer mehr die Auffassung durch, dass auch heute von einem Pluralismus der Rechtsformen des »globalen Rechts« ausgegangen werden muss, also nicht nur der Staat Recht erzeugt. Dies wiederum wirft die Frage auf, ob es nicht auch im 19. Jahrhundert tatsächlich einen Rechtspluralismus gegeben hat, dessen Erscheinungsformen nur nicht anerkannt worden sind. Wenn Recht als Phänomen in einer heterarchischen Ordnung jenseits der Fixierung auf die Souveränität des Staates beobachtet wird, so lassen sich auch in den Gesellschaften des 19. Jahrhunderts normative Phänomen beobachten, die gar nicht Gegenstand der Setzung des Gesetzes sein können: Z. B. die Lebendigkeit der Rechtspraxis, vor allem aber die Kreativität des Rechtssubjekts, ohne die Recht nicht möglich ist. Das wird partiell mit dem Grundsatz der Privatautonomie anerkannt, der auch die Erzeugung neuer Formen von Regeln und Regelmäßigkeiten impliziert. Deshalb war die Privatautonomie (Vertragsfreiheit) für das Recht des 19. Jahrhunderts, insbesondere in Deutschland, ein Problem. Das Rechtssubjekt kann in der Moderne keine Leestelle, keine bloße »Adresse« (N. Luhmann) sein. Die Gesellschaft wird auch schon im 19. Jahrhundert immer mehr zur Wissensgesellschaft, zum Möglichkeitsraum jenseits der Wirklichkeit und das (Rechts-)Subjekt zu einem sich selbst ständig verändernden Agenten des Wissens. Ich bin in meinem Buch davon ausgegangen, dass dann auch das Verständnis der Revolution ein anderes werden muss. Dann muss man auch in Deutschland eine Revolution der Gesellschaft in den Blick nehmen, die politisch nur begrenzte Wirkungen hatte, aber die Gesellschaft nicht wenige umgewälzt hat als in Frankreich – vielleicht sogar stärker als in Frankreich, weil das Land nach dem politischen Scheitern der Revolution beinahe 100 Jahre politisches Chaos erlebt hat. Die weltgeschichtlich einmalige Entwicklung der Philosophie, auch der Literatur und vor allem der Musik sind Erscheinungsformen einer gesellschaftlichen Revolution, die auch das Recht erfasst hat, wenngleich es sich dagegen immer gewehrt hat. Das war für mich der Anstoß, Rechtsgeschichte sehr viel weiter zu fassen als bisher und heute noch üblich ist. Dazu im folgen einige Vorüberlegungen.

1. Deutscher Idealismus und französische Revolution

Das historische wie das philosophische Denken im Deutschland des 19. Jahrhunderts sind von dem Motiv der Wiederherstellung der Kontinuität des (geschichtlichen) Denkens bestimmt, die infolge des Bruches der französischen Revolution mit dieser Kontinuität dem Beobachter notwendig erscheinen konnte. Schon die außerordentliche Produktivität der Philosophie in Deutschland indiziert eine Herausforderung, die so nirgendwo anders erlebt worden ist. Wiederherstellung der Kontinuität des Denkens heißt aber nicht, dass hinter die französische Revolution zurückgegangen werden und noch einmal neu angefangen werden kann oder soll. Vielleicht könnte man besser von der Vorstellung einer Neugründung der Gesellschaft durch die Philosophie und das Denken der Geschichte als ein Ganzes jenseits des älteren zyklischen Denkens sprechen. Bildung als Prozess der Herstellung eines Ganzen innerhalb des bürgerlichen Bewusstseins ist eine der zentralen Ideen, in denen die Formierung eines neuen Subjekts gedacht wird, als dessen wahrer Anfang nicht die französische Revolution, sondern schon früher die deutsche Reformation mit ihrer Zentrierung um das Subjekt gedacht worden ist. An diese muss angeknüpft und eine neue kohärente, auf das Denken des Ganzen und der Einheit der Welt angelegte Vorstellung von Individualität konstruiert werden.

Dem Anfang der idealistischen Philosophie in der Bildung des Bewusstseins des Subjekts entspricht in der Literatur der Bildungsroman. Eine Verknüpfung zwischen Literatur und Philosophie findet sich in der Annahme, dass Hegels Phänomenologie des Geistes letztlich selbst der Bildungsroman des Subjekts des 19. Jahrhunderts gewesen sei. Bei F. Moretti heißt es: der Bildungsroman als das Denken der Partizipation des Ich an der Welt zeige, wie die französische Revolution hätte vermieden werden können. Dass dies ein Thema für den deutschen Idealismus war, deutet sich in den Gesprächen an, die Wilhelm von Humboldt während der Epoche der Revolution in Frankreich insbesondere mit Sieyès geführt hat:Sieyès’ Denken war von der schon durch Hobbes vorbereiteten Vorstellung geprägt, dass das revolutionäre Experiment zur Entdeckung der besten gesellschaftlichen Ordnung grundsätzlich die Frage nach einer neuen philosophischen Sprache für den neuen beobachtenden Menschen aufwerfe. Das neue Ich, »le moi directeur«, findet nach Sieyès sein Apriori in der Funktion der Repräsentation und in der kreativen Realität der politischen und gesellschaftlichen Veränderung. Humboldt konstatiert, dass für Franzosen die Notwendigkeit der Gründung der Welt in einem »reinen Selbstbewusstsein« nicht denkbar gewesen sei (J. Guilhaumou). Einen eigenen revolutionären Zug gewinnt die deutsche idealistische Position aus der ihrerseits quasi-revolutionären Konstellation in Deutschland, dem Fehlen eines deutschen Staates, dem der Idealismus die Fähigkeit zur Verwirklichung einer neuen Idee des Staates zugetraut hätte. In Sieyès’ Denken konnte der künftige Staat selbst eine geistige Form annehmen, deren sich die Idee bedienen konnte. Als politische Form war dieser aber, wie dies für Sieyès in der französischen Revolution galt, in Deutschland nicht präsent.

In einer Zwischenüberlegung sei angemerkt, dass Hobbes seine Theorie der Souveränität des Monarchen seinerseits mit einer Konzeption der Sprache als Voraussetzung der politischen Ordnungsbildung verknüpft hat, die später in der politischen Philosophie eher vernachlässigt worden ist (vgl. aber Pettit, Waldron). Wörter lassen danach Beziehungsmuster in der Gesellschaft in Erscheinung treten, die erst die Erfassung und Koordination gesellschaftlicher Verhältnisse möglich machen. Es ist darauf zurückzukommen, dass auch bei Savigny, dem Gründer des deutschen Rechtsdenkens im 19. Jahrhundert, Ansätze einer Theorie der Sprache als Medium einer Gedankenübertragung und als Voraussetzung der rationalen Interpretation des Rechts erkennbar werden, die aber wenig entfaltet worden sind.

Der deutsche Idealismus ist in seinen verschiedenen Formen bestimmt von der Einsicht, dass das vernünftige Allgemeine nicht aus der Beobachtung der Tatsachen erzeugt werden kann, sondern nur aus der Einheit von Denken und Sein: Der Geist organisiert die Welt, der Geist muss die Welt organisieren (Myriam Bienenstock). Der Prozess der Kultur formt erst das Individuum, den Staat und ihren Anteil an der Einheit des Geistes. Allerdings lässt sich von Hegel nicht behaupten, wie dies etwa später Jhering angenommen hat, dass sein Denken an der empirisch beschreibbaren Realität kein Interesse gehabt habe. Dies lässt sich insbesondere in seinen Beschreibungen der bürgerlichen Gesellschaft und ihrer Ordnungsleistung für das Allgemeine belegen: Hegel nimmt in der Transformation des Begriffs des Kaufmanns in den des »Geschäftsmannes« eine charakteristische Abstraktion von bestimmten, konkret begrenzten Gegenständen des wirtschaftlichen Handelns vor, die der Gesellschaft den Übergang zur Allgemeinheit der Ordnung ermöglicht.

2. Der Prozess der Verallgemeinerung der Gesellschaft

Die Gesellschaft kann sich nicht selbst als Anfang setzen, wie dies die französischen Revolutionäre glaubten, sondern sie muss in einem Prozess der – modern, psychoanalytisch gesprochen – »Durcharbeitung« durch die Bewegung des Denkens zur Darstellung der Allgemeinheit gebracht werden. Um noch einmal Bienenstock zu zitieren: Die Vorstellungen müssen in Gedanken, die Gedanken in Begriffe transformiert werden. Dies ist nicht als Prozess in der Innenwelt der Ideen allein denkbar, sondern bedarf der Befestigung in und durch Institutionen und der Herausbildung auch praktisch wirksamer Bildungsprozesse in der Auseinander-setzung mit gesellschaftlichen Erfahrungen. So sind die »Stände« Formen, Institutionen der Bildung eines auf Verallgemeinerung angelegten sozialen Gedächtnisses, das die Bewegung der Unterscheidung und Verknüpfung in den Erfahrungen zum Beispiel der wirtschaftlich tätigen Bürger (Kaufleute) übergreift und einen Prozess der Verallgemeinerung aus sich herausreibt, der schließlich im Staat kulminieren kann – im Staat als Begriff, nicht als spätere Realität des preußischen Staates. Hegel nimmt in der Begriffsverschiebung vom Kaufmann zum »Geschäftsmann« eine charakteristische Wendung vor, die dem Letzteren durch Abstraktion von einem Bestand konkreter wirtschaftlicher Handlungen die Gewinnung der Zugehörigkeit zu einem Stand der Allgemeinheit zutraut.

Dementsprechend führt das neue Verständnis des Eigentums, das nicht mehr durch die Bindung an den konkreten Status des Eigentümers bestimmt wird, zu einem Prozess der Aneignung durch das Subjekt, in dem das Sacheigentum Formen des geistigen Eigentums annimmt, das in der Hand des Subjekts als Eigentümer dessen Wirklichkeit in eine Fülle von Möglichkeiten transformiert. Das Eigentum wird ebenso beweglich wie das Subjekt. Ph. Theison hat auf eine in diesem Zusammenhang bedeutende Passage in Goethes »Wahlverwandtschaften« hingewiesen, in der es darum geht, dass die meisterhafte Zeichnung des Gartens durch den Hauptmann, einer der Protagonisten des Romans, der nicht der Eigentümer ist, dem wahren Eigentümer erst das Bewusstsein des Eigentums und darüber hinaus auch des Anteils vermittelt, den der Zeichner daran hat. Die Zeichnung verfremdet das Eigentum aus der konkreten Sachlage und macht es zu einem Bündel von Möglichkeiten. Die Auflösung der zyklisch bestimmten Zeitverhältnisse der Vergangenheit wird überwunden durch die Entwicklung eines Verhältnisses der Multitemporalität, d.h. der Entwicklungsmöglichkeiten jenseits der Wirklichkeit des Gegebenen.

Wenn Hegel die Bindung des Rechts an der Ethik aufrechterhält, so muss dies nicht zu einer Selbstblockierung des Rechts und des Eigentums führen, weil die Ethik ihrerseits beweglich wird und auf einen Anteil an der Bewegung des Allgemeinen festgelegt ist. Dieses Allgemeine bleibt aber nicht dem Denken immanent, vielmehr wird es als Moment der praktischen Vernunft Teil einer regelorientierten gesellschaftlichen Praxis (R. Pippin) oder besser einer Fülle von Lebensformen, die durch Institutionen aufeinander bezogen, verallgemeinert und dadurch stabilisiert werden.

Der Bildungsroman ist die literarische Erscheinungsform der für idealistische Philosophie prägenden Formen der Bildung eines neuen gesellschaftlichen Gedächtnisses im 19. Jahrhundert. Einerseits zerfällt die Welt in Gruppen von Ereignissen und Dingen, andererseits wird dies kompensiert durch philosophische und literarische Formen der Universalisierung und damit der Versuche, Einheit wiederherzustellen durch Reflexion und nicht durch Rückkehr in die Vergangenheit der religiös bestimmten Weltsichten. Die Revision der Vergangenheit scheint zugleich den Vorgriff auf den Grund einer künftigen Gemeinschaft zu ermöglichen. Die zyklischen Zeitverhältnisse der Vergangenheit werden überwunden durch die Entwicklung – wie erwähnt – eines Verhältnisses der Multitemporalität, d.h. nicht nur die Gegenwart, sondern auch die Vergangenheit der Gegenwart wird neu gelesen als vielfältig und multipolar. Zugleich entwickelt sich ein Begriff der Zukunft als eines Möglichkeitsraums, auf dessen exemplarische Konstellationen man sich durch das Ausprobieren neuer Möglichkeiten im Roman einstellen muss und kann.

Der Erzählungsraum der Vergangenheit verändert sich und wird durch neue figurale Formen des Romans mobilisiert, die von Verweisungen auf andere Figuren innerhalb desselben Romans oder in anderen Romanen neue Formen des Erlebens von Einheit in der Diskontinuität herstellen. Das Prozessieren der Figuren impliziert und realisiert neue Formen der wechselseitigen Anerkennung, die in der Wiedererkennung neuer Figuren und ihrer Variationen basiert ist und einen neuen Zusammenhang denken lässt: Dieser lässt sich über den Prozess der reflektierten Bildung des Einzelnen in der Kultur erleben und dadurch zugleich in einer ambivalenten Bewegung halten, die durch die Notwendigkeit ständigen Wissenserwerbs, die Furcht vor dem Steckenbleiben in der »Halbbildung« (Weitin, Adorno) und die Erprobung des Neuen bestimmt wird. Was Adam Smith für die Notwendigkeit der Beobachtung der praktischen Lebensformen im »Spiegel der anderen« angenommen hat, wird in der gemeinsamen Bildung als Selbstdisziplin mit Öffnung für das Lernen des und von anderen im Prozess der Bildung verstanden. Der Bildungsprozess findet seine Ergänzung und Abstützung in dem darüber hinausweisenden Prozess der Ausbreitung von Wissen und des Wissenserwerbs auch jenseits der Lebenswelten des Bildungsbürgertums. Das Einrücken in die stabilen Lebens- und Arbeitsformen wird z.B. auch im Handwerk oder in frühen Formen der Technik durch die Erprobung des Neuen abgelöst. Hier zeigt sich eine problematische Spaltung zwischen Bildungs- und Technikwelten.

3. Das Recht und die Herausbildung der Infrastruktur der Subjektivität

Die Orientierung an der Ordnungsbildung durch »Einheit« ist für die Rechtsgeschichte (als Fach) von prägender Bedeutung geworden. Bis in die jüngste Vergangenheit, die Darstellung der Privatrechtsgeschichte der Neuzeit durch F. Wieacker, wird davon ausgegangen, das »Einheit« ein zentrales Erfordernis der Orientierung an der Logik der bestehenden Institutionen ist, und das bedeutet für das Recht vor allem die Orientierung an der Rechtsprechung. Es muss demgegenüber der Versuch unternommen werden, die Entwicklung des Rechts zunächst für die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts am Beispiel der neu zu bestimmende Stellung des Subjekts zu beschreiben.

Savigny als Gründer der historischen Rechtsschule hat bekanntlich den Volksgeist als die Quelle des Rechts angesehen; dies schließt offenbar die Übernahme des römischen Rechts durch den deutschen Volksgeist nicht aus. Savigny hat sich auch Gedanken über das Verhältnis des Gesetzgebers sozusagen als Generalvertreter des Volksgeistes zu den einzelnen Rechtssubjekten gemacht. Der »Volksgeist« nimmt durch die vom Gesetzgeber »angewendeten Sprachgesetze« eine bestimmte Form an. Die Sprache wird dabei in zwei Stufen in einer instrumentellen Sichtweise um ihre Eigenständigkeit gebracht, wenn im Prozess der Anwendung sowohl rückwärts in Kommunikation mit dem Volksgeist als auch vorwärts in Richtung auf den Adressaten des Gesetzes bestimmt wird, welche Gedanken wie formuliert und wie übertragen werden. Dieser Übertragung entspricht auf der Seite des Adressaten kein rein passives Verhältnis: Die Subjekte müssen als Adressaten des Gesetzes dessen Inhalt »in sich aufnehmen« und dabei die vom Gesetzgeber »angewendeten Sprachgesetze« beachten. Der Vorgang der Aufnahme der Gedanken des Gesetzgebers erfolgt zunächst mittels der grammatischen Interpretation in Bezug auf die einzelnen Wörter und historisch sowie logisch und systematisch im Hinblick auf die einzelnen Sätze des Gesetzes. Letztlich bedeutet dies aber wiederum, weil die Auslegung keine Wissenschaft, sondern eine Kunst ist, die Festlegung auf die Übernahme von Mustern des Könnens. Insofern bleibt die Unterstellung der Konzentration des gesamten relevanten rechtlichen Wissens in der Sprache des Gesetzes begrenzt. Beim früheren Jhering heißt es: Die »Summe der Möglichkeiten« des rechtlichen Handelns fällt zusammen mit der »Summe der anerkannten Rechtsbegriffe«. Dem entspricht auf der faktischen, davon deutlich getrennten Seite des Prozesses die Rechtsanwendung, ein Prozess, den Lawrence Rosen als die »Skelettierung der Fakten« bezeichnet hat, d.h. eine Reduktion des Faktischen auf das für den Entscheider und sein Erkenntnisurteil verkraftbare Material des »Erheblichen«. Der Prozess zwischen den Fakten bleibt unbeobachtet. Dies läuft auf eine strenge Unterscheidung zwischen Recht und Faktizität hinaus, die die Möglichkeit der Normativität der Normalität (I. Augsberg) weitgehend ausschließt. Mit der treffenden Formulierung L. Rosens wird deutlich gemacht, dass die Rechtsbegriffe auch mit Hilfe der Unterscheidung von erheblichen und unerheblichen Fakten eine Unterscheidungskraft für die Faktizität gewinnen. Die Faktizität wird um die Fähigkeit zur Bildung von Assoziationen, Verweisungen, Emergenzen verkürzt. Der Rekurs auf den Volksgeist als den eigentlichen Urheber des Rechts stand von vornherein in einem Spannungsverhältnis zu der Annahme der Eigenständigkeit des Gesetzgebers, ein Spannungsverhältnis, das in der Begriffsjurisprudenz und im Gesetzespositivismus zu Gunsten des Vorrangs der begrifflichen Setzung aufgelöst worden ist. Auch die historische Rechtsschule steht in einer gemeinsamen Tradition mit dem deutschen Idealismus, doch hat sie von vornherein den Anspruch der Erneuerung des Rechtsverständnisses aus dem Geist der Kultur durch die Rückbindung an ein einfaches Verständnis der Praxis der Rechtsanwendung als dem eigentlichen Kern des Volksgeistes begrenzt. Selbst die vielgeschmähte Begriffsjurisprudenz ist allerdings zu Beginn ihrer Herausbildung keineswegs als eine blinde Methode der Subsumtion von Fakten unter Rechtsbegriffe verstanden worden. Es ging vielmehr in Übereinstimmung mit dem philosophischen Idealismus um die Annahme, dass dem »System der Willensmöglichkeiten ein einheitlicher Gedanke« zugrunde liegt. Damit soll nach Gerber für das Privatrecht die »Anerkennung der freien Möglichkeitsbestimmung in Bezug auf die Behandlung der Dinge« verbunden sein.

Von hier aus lässt sich ein Bogen schlagen zu der Modellierung des Eigentums nach dem Gedanken des geistigen Eigentums, der über das geistige Eigentum im engeren Sinne hinaus die Beweglichkeit der Verhältnisse zwischen den Dingen vermittelt über den Willen des Einzelnen. Das Geistige des Eigentums ist begründet in der Möglichkeit der Verweisungen auf vervielfältigte Nutzungs- und Verwertungsformen jenseits der traditionellen Bindungen des Grundeigentums einerseits und der damit zugleich begrenzten Kommerzialisierung andererseits. Vor allem Erfindungen erzeugen neue Eigentumsobjekte, bei denen der geistige Wert den materiellen um ein Vielfaches übersteigt. Das bedeutet nicht, wie P. v. Oertzen annimmt, dass das Rechtssubjekt nur noch eine Chiffre für die Rechtsfähigkeit der Vermögensgegenstände in der dynamischen Privatrechtsgesellschaft geworden wäre. Im Gegenteil! Das Subjekt vervielfältigt selbst durch das Wissen die Zahl und Art der Eigentumsgegenstände und ihrer Verfügungsmöglichkeiten. Das »Geistige« ist nicht nur in den »je schon gegebenen idealen Möglichkeiten« begründet. Mit dem neuen dynamisch gewordenen Recht geht es nicht mehr um die Subsumtion der Dinge unter stabile Rechtsbegriffe, sondern um das Denken der Bewegung und die Veränderung der Dinge und Personen, ohne dass dadurch allein schon die Willensverhältnisse des bürgerlichen Rechts in Frage gestellt würden.

Damit ist das Rechtssubjekt nicht mehr nur als Adressat des Gesetzes vorstellbar, sondern es ist »Agent« der neuen Möglichkeiten. Und das bedeutet, dass das Recht nicht nur nicht nur durch den Staat gesetzt werden kann, sondern auch aus den Lebensformen und Praktiken der Subjekte (Selbst-)Regelungskraft gewinnt. Die Gewohnheit kehrt in die Welt des Rechts zurück…

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